Gemeinderat, 15. Sitzung vom 21.11.2011, Wörtliches Protokoll - Seite 78 von 150
Integrationspolitik zu schaffen.
Sehr geehrte Damen und Herren! Einer der vier Eckpfeiler des Wiener Integrationskonzepts ist die Messbarkeit. Die Stadt Wien hat ein Instrument, ein Monitoring entwickelt, das regelmäßig den Stand und den Verlauf gesellschaftlicher Integrationsprozesse nach Themenbereichen mit Hilfe von Daten erfasst. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse unterstützen die Handlungsstrategien der Stadt, indem sie Erfolge, Veränderungen, Entwicklungen, aber auch Defizite dieser Prozesse aufzeigen. Denn Integrationspolitik heißt nicht, umsetzen, was der Nachbar so erzählt, sondern auf Grund messbarer Tatsachen entscheiden. Das kann mit den Informationen des Nachbarn übereinstimmen, muss aber nicht. Es gibt nämlich tausende Nachbarn, die alle etwas anderes erzählen. Darum ist es gut, eine fundierte Grundlage zu haben, nämlich das Integrations- und Diversitätsmonitoring.
Mit dem Monitor 2011 entsteht nun der erste Folgebericht des Wiener Integrations- und Diversitätsmonitoring. Erstmals wird dabei online ein Fragebogen eingesetzt, womit eine bessere Vergleichbarkeit und Bewertbarkeit der Ergebnisse gewährleistet ist.
Eine weitere Neuerung ist, dass allen teilnehmenden Abteilungen und Einrichtungen eine Auswertung mit sehr hohem Detaillierungsgrad zur Verfügung gestellt wird. Damit haben die Politik und die Verwaltung eine sachliche Grundlage für Integrationsmaßnahmen.
Ich empfehle diese Studie allen Kolleginnen und Kollegen, Ihnen im Besonderen, Herr Kollege Jung, oder Sie suchen sich einen anderen Nachbarn, der Ihnen etwas anderes erzählt. (GR Mag Wolfgang Jung: Ich habe keine anderen Nachbarn!)
Sehr geehrte Damen und Herren! Man soll bekanntlich sein Licht nicht unter den Scheffel stellen, noch besser ist es aber, wenn man von anderen gelobt wird. Das Europäische Institut für öffentliche Verwaltung vergibt alle zwei Jahre den European Public Sector Award. Für das Jahr 2011 wurden 274 Projekte aus 32 europäischen Ländern und Institutionen eingereicht. Die Online-Plattform „Gewerbe-Online" der MA 63 sowie das Projekt „Sei dabei!" der MA 17 in Kooperation mit der MA 11 gehören zu jenen 43 Projekten, die am 17. November 2011 in Maastricht mit dem Best Practice Certificate ausgezeichnet wurden. Best Practice heißt, dass es ein international nachahmenswertes Projekt ist.
Mit „Sei dabei!" werden seit Juni 2009 Ideen von Wienerinnen und Wienern, die zu einem besseren Miteinander in unserer Stadt beitragen, unterstützt. Die Palette reicht von Sport- und Kulturaktivitäten bis hin zur gemeinschaftlichen Hof- und Grünanlagengestaltung von Wohnhausanlagen. „Sei dabei!" will den Menschen dieser Stadt Mut machen, einen Schritt aufeinander zuzugehen. Bereits 183 Einzelprojekte wurden eingereicht, über 130 wurden umgesetzt und viele Kontakte dadurch geknüpft. Ich meine, das ist gelebte Integration: das Fördern des aufeinander Zugehens, des Miteinanders. Hetzer gibt es genug, und wohin Fremdenfeindlichkeit führen kann, sehen wir in Deutschland, wo eine rassistische Terrorgruppe zehn ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger umgebracht hat.
Sehr geehrte Damen und Herren! Wien ist auch eine Stadt, in der jeder nach seiner Fasson glücklich werden soll. Das gilt auch für gleichgeschlechtliche Lebensweisen. Seit 13 Jahren tritt die Wiener Antidiskriminierungsstelle für gleichgeschlechtliche Lebensweisen und gegen Diskriminierung von Lesben, Schwulen und Transgender-Personen ein. Die WAST, so die Abkürzung, führt im Jahr 2012 den Schwerpunkt Homophobie, Transphobie und Gewalt in den Stadtgesprächen weiter. Und aus aktuellem Anlass: Christine Hödl hat im ORF die „Große Chance" gewonnen. Sie ist mit einer Frau verheiratet und hat ein Kind adoptiert. Beides ist in Österreich nicht erlaubt. Dabei sind die Österreicherinnen und Österreicher schon viel weiter, sonst hätten sie Frau Hödl nicht mit so einem großen Vorsprung gewählt.
Vielleicht hilft dieser Erfolg unserer Forderung nach mehr Rechten für homosexuelle Menschen. Wir fordern die Möglichkeit der Fremd- und Stiefkindadoption, also die Adoption des Kindes des Partners für Eingetragene Partner. Außerdem müssen auch alleinstehende Frauen und Eingetragene Partner die Möglichkeit zur medizinisch unterstützten Fortpflanzung haben, und schließlich soll auch die Ehe für gleichgeschlechtliche Partner möglich sein. Das Gesetz soll nicht die Realität verhindern wollen.
Gibt es hier irgendjemanden unter den Kolleginnen und Kollegen, der oder die glaubt, dass Frau Hödl eine schlechtere Ehefrau oder Mutter für ihr Kind ist als heterosexuelle Frauen? Ich bin überzeugt, wer die Ehe zwischen Mann und Frau dogmatisch als einzig mögliche Lebensart, als gesetzliches Monopol einzementieren will, der hat im Grunde seines Herzens gar kein Vertrauen zu Heteroehen, sonst würde er nicht so auf dieser Monopolstellung beharren. Dass man ins Ausland gehen muss, um glücklich werden zu dürfen, finde ich jedenfalls nach wie vor beschämend. (Zwischenrufe bei der FPÖ.)
Sehr geehrte Damen und Herren! Frauenpolitik wird in Wien seit jeher großgeschrieben. Sie ist nicht immer angenehm, wenn sie gewohnte Strukturen angreift, aber glauben Sie mir, viel unangenehmer ist es, wenn die Hälfte der Bevölkerung benachteiligt wird. Heute sind es weniger die gesetzlichen Hindernisse, die Frauen behindern, heute sind es informelle Hindernisse. Die Vereinbarung von Familie und Beruf steht da ganz oben an erster Stelle. Wenn wir mehr Kinder im Land haben wollen, müssen wir dafür sorgen, dass Frauen die Möglichkeit haben, rasch wieder in das Berufsleben zurückzukehren. Der Blick auf die Statistiken Europas zeigt ganz klar: je höher die Kinderbetreuungsdichte, desto höher die Kinderdichte. Die skandinavischen Länder und Frankreich seien hier genannt. In Wien ist viel geschehen. Wichtig ist, dass es kostenlose Kinderbetreuung gibt. Die Betreuungsdichte in Wien gegenüber anderen Bundesländern in Österreich ist sehr hoch und sie steigt weiter.
Frauenpolitik ist natürlich mehr als Familienpolitik.
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