«  1  »

 

Gemeinderat, 32. Sitzung vom 14.12.2012, Wörtliches Protokoll  -  Seite 5 von 133

 

09.00.34(Beginn um 9 Uhr.)

 

Vorsitzender GR Godwin Schuster: Meine sehr geschätzten Kolleginnen und Kollegen!

 

Ich eröffne die 32. Sitzung des Wiener Gemeinderates.

 

09.00.52Entschuldigt während des gesamten Tages sind GRin Mag Berger-Krotsch, GR Kops, GRin Meyer, GR Dr Troch, GR Dr Ulm, GR Mag Dr Wansch und GRin Mag Wurzer. Frau GRin Korosec ist bis 12 Uhr entschuldigt, GRin Dr Laschan ab 17.45 Uhr und GR Vettermann ab 16.30 Uhr.

 

09.01.32Wir kommen nun zur Fragestunde. - 9.01.48†Amtsf StR Dr Andreas Mailath-Pokorny - Frage|Die 1. Frage (FSP - 04429-2012/0001 - KSP/GM) wurde von Herrn GR Ernst Holzmann gestellt und ist an den Herrn amtsführenden Stadtrat der Geschäftsgruppe Kultur und Wissenschaft gerichtet. (Welche Bemühungen unternimmt die Stadt Wien im Bereich der Erinnerungskultur und wie werden diese der Öffentlichkeit kommuniziert?)

 

Bitte, Herr Stadtrat.

 

Amtsf StR Dr Andreas Mailath-Pokorny: Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Einen schönen guten Morgen!

 

Ich freue mich, dass ich heute der Erste bin, der zu Ihnen sprechen kann, und aller Voraussicht nach auch der Letzte des heutigen Tages, sodass die Kultur diesen letzten Gemeinderatstag vor den Weihnachtsfeiertagen umrahmt.

 

Sehr geehrter Herr Gemeinderat! Sie haben mich gefragt, welche Bemühungen die Stadt Wien im Bereich der Erinnerungskultur unternimmt. - Sie sind zahlreich, diese Bemühungen. Insbesondere in den letzten Jahren haben wir uns noch intensiver bemüht, uns mit der Vergangenheit der Stadt auseinanderzusetzen, um Geschichte sichtbar zu machen. Die Kulturabteilung sieht es als ihre Verantwortung, die Vergangenheit Wiens wach zu halten und, wo nötig, zu kontextualisieren – wie das so schön heißt –, also in einen historischen Zusammenhang zu stellen und jungen Generationen zu erklären. Denn nur wer seine Geschichte kennt, kann auch aus ihr lernen.

 

Diese aktive Auseinandersetzung mit der Geschichte geschieht auf eine vielfältige Weise – erläuternde Zusatzschilder bei Straßentafeln, Ausstellungen, Installationen im öffentlichen Raum, Kunstwerke oder Denkmäler helfen dabei. Grundsätzlich geschieht dieses aktive Erinnern im öffentlichen Raum nach dem Grundsatz: Aufzeigen, Auseinandersetzen, Aufklären und Diskurs, nicht jedoch Verdrängen und auch nicht Auslöschen.

 

Allzu lange wurde in Wien und in Österreich Vergangenheit erfolgreich verdrängt. Die Änderung des kollektiven öffentlichen Bewusstseins findet nunmehr auch Eingang in den öffentlichen Raum. Lassen Sie mich anhand einiger konkreter Projekte erklären, worum es geht:

 

Zahlreiche Erinnerungsprojekte werden von Seiten engagierter Bürgerinnen und Bürger angestoßen oder durchgeführt. Im Servitenviertel zum Beispiel, im 9. Wiener Gemeindebezirk, recherchierten die BewohnerInnen über die vor 1938 hier lebenden Jüdinnen und Juden und realisierten gemeinsam mit Kunst im öffentlichen Raum – KÖR einen Gedenkort. Seither erinnern die sogenannten „Schlüssel gegen das Vergessen" an Deportierte aus diesem Grätzel am Alsergrund. Auch die „Steine der Erinnerung", über die wir auch hier im Gemeinderat öfter diskutiert haben, durch engagierte Bürgerinnen und Bürger realisiert, gibt es in fast allen Wiener Bezirken.

 

Zahlreiche weitere Projekte von Kunst im öffentlichen Raum wie „Idylle“ oder der Turnertempel in der Herklotzgasse sind würdige Orte der Erinnerung.

 

2013 wird durch KÖR das Deserteursdenkmal am Ballhausplatz umgesetzt. Dann wird Wien das erste Bundesland sein, das jener gedenkt, die sich unter Einsatz ihres eigenen Lebens und das ihrer Familien weigerten, in der Wehrmacht zu dienen, und die erst vor Kurzem rehabilitiert wurden. Auch diese Form der Zivilcourage sollte niemals vergessen werden.

 

2011 wurde die Ausstellung im Gedenkraum für den österreichischen Widerstand in der Salztorgasse neu konzipiert, die an die NS-Zeit erinnert und regelmäßig auch von Schulklassen besucht wird. Mit Mitteln der Stadt Wien wurde davor auch das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes saniert, über dessen Jahresförderung wir ja heute im Laufe des Tages auch noch zu befinden haben.

 

Auch die Bezeichnung von Verkehrsflächen hat eine hohe Symbolkraft. Deshalb werden jetzt sämtliche Straßennamen mit Personenbezug von einer Kommission unter dem Zeithistoriker Oliver Rathkolb einer kritischen Würdigung unterzogen. Auch dabei geht es primär nicht um eine Auslöschung von Namen, sondern im Gegenteil um die Bewusstmachung der historischen Rollen ihrer jeweiligen Namensgeber. Eine prominente Ausnahme wurde für den Lueger-Ring gemacht. Hier gab es einen langjährigen und dringlichen Wunsch der Universität Wien, die in Hinblick auf ihre Internationalität und ihren bevorstehenden 650. Geburtstag um eine Adressänderung gebeten hatte. Auch die Tatsache, dass dieser Teil des Rings zwischen den beiden Leuchttürmen der Aufklärung, also der Universität und dem Burgtheater, nach einer historischen Persönlichkeit benannt war, die sich in ihrem politischen Handeln dem Gegenteil verschrieben hatte, verlangte nach einer Änderung. Darüber hinaus gibt es in Wien noch zahlreiche andere Orte, die an Lueger erinnern, sodass von einem Auslöschen des Namens so oder so nicht gesprochen werden kann.

 

Seit Kurzem gibt es für Wiens Denkmäler und Erinnerungsorte im öffentlichen Raum auch ein neues Beschriftungs- und Vermittlungssystem. Manche von Ihnen werden es hoffentlich auch schon gesehen haben: sternförmige, rund 80 cm hohe Bodenobjekte aus Email und Eternit. Die neuen sogenannten „Wienkl" sind überall dort hilfreich, wo Zusatzinformationen im öffentlichen Raum zu einem neuen Blickwinkel verhelfen können. So werden historisch relevante Installationen, Kunstwerke oder Gebäudefassaden erläutert und in einen zeitgemäßen Kontext gebracht. Zweisprachig Deutsch-Englisch und in Brailleschrift sowie mit einem Orientierungsplan versehen, weisen sie auch auf umliegende Denkmäler und Kunstwerke hin.

 

Zu einem sorgsamen Umgang mit der Geschichte

 

«  1  »

Verantwortlich für diese Seite:
Stadt Wien | Geschäftsstelle Landtag, Gemeinderat, Landesregierung und Stadtsenat (Magistratsdirektion)
Kontaktformular