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Gemeinderat, 41. Sitzung vom 26.06.2013, Wörtliches Protokoll  -  Seite 12 von 65

 

hat, bestätigen sich auch in dieser Untersuchung die erschütternden Missstände in den ehemaligen Kinderheimen.

 

Der Bericht zeigt deutlich – und es ist ja heute schon darauf hingewiesen worden –, wie Kinder damals in einem herzlosen und überaus brutalen System behandelt wurden und wie sie diesem System auch ausgeliefert waren. Großheime, wie sie damals durchaus üblich waren, sind, wie wir heute wissen, ein Nährboden für Gewalt, Misshandlung und Isolation. Die Kommission machte deutlich, dass zumindest ab Anfang der 70er Jahre vielen diese totalitären Strukturen bewusst und bekannt waren, weshalb ja auch die Wiener Heimkommission zur Erarbeitung von Reformen eingesetzt wurde. Aber er macht auch deutlich, dass damals verabsäumt wurde, dass Sofortmaßnahmen getroffen werden, die schnell herrschende und bekannte Missstände auch abgestellt hätten.

 

Wir wissen auch – und auch das wurde ja in der Pressekonferenz klar präsentiert –, dass der Wilhelminenberg keinen Einzelfall darstellt, sondern durchaus auch, wie ich es genannt habe, als pars pro toto zu sehen ist. Wir wissen, dass diese kinderverachtende Erziehung in Großheimen der damaligen Zeit in ganz Österreich praktiziert wurde, sei es St Martin in Tirol, das Kinderheim Leonstein in Oberösterreich, das Jugendwohnheim Linz-Wegscheid, das Stift Mehrerau in Vorarlberg, oder in Salzburg, das ja auch einen sehr umfassenden Untersuchungsbericht vorgelegt hat. Über 61 Einrichtungen sind davon betroffen, in vielen anderen Bundesländern, und in einer Vielzahl von Einrichtungen, ganz egal, ob sie von einer Gemeinde, von Landesregierungen oder auch vom Bund geführt wurden.

 

Dies war aber tatsächlich auch kein österreichisches Phänomen, sondern auch leider international weit verbreitet. Deutschland, Schweden, Großbritannien, Irland – um nur einige zu nennen – arbeiten ebenfalls ihre Geschichte auf. Allerdings mit einem doch großen Unterschied, ein Unterschied, der zeigt, wie ernst wir in Wien diesen Bereich genommen haben. In Deutschland zum Beispiel wurde im Jahr 2006 über Petitionen ein Runder Tisch ins Leben gerufen, aber es dauerte bis zu diesem Jahr, bis erste finanzielle Hilfestellungen zur Verfügung gestellt wurden.

 

Wir in Wien hingegen haben sehr rasch gehandelt, haben im Frühjahr 2010 die Kinder- und Jugendanwaltschaft und danach den Weissen Ring beauftragt, rasche und unbürokratische Hilfestellung für die Opfer zu organisieren. Seither bieten wir psychotherapeutische, rechtliche und finanzielle Hilfestellung an. Insgesamt hat dafür – ich habe ja darauf hingewiesen – der Gemeinderat bereits 31,5 Millionen EUR zur Verfügung gestellt. Darin enthalten sind über 60 000 Einheiten für psychotherapeutische Hilfe und mehr als 21 Millionen EUR bezahlte finanzielle Hilfestellung für über 1 200 Personen.

 

Auch die historische Aufarbeitung in den Bundesländern zeigt, wie die Lehrmeinung und der menschenverachtende Umgang mit Kindern aus der nationalsozialistischen Ära noch lange weiter wirkte und dass Kinder entrechtete Mitglieder unserer Gesellschaft waren, vor allem dann, wenn sie eben aus sozial schwächer gestellten Familien kamen.

 

Auch darauf hat die Wiener Jugendwohlfahrt reagiert und entsprechende Reformen durchgeführt. Wir sorgen heute dafür, dass derartige Dinge nicht mehr passieren dürfen. Deshalb war für uns auch die historische Aufarbeitung wichtig. Wir haben alle vorhandenen Akten und Unterlagen offengelegt, gerade auch für die Forschung.

 

Ein ganz wichtiger und wesentlicher Schritt – auch das ist nicht überall erfolgt –: Bereits als die ersten Vorwürfe auftauchten, hat die MA 11 einen absoluten Skartierungsstopp verordnet. Nach den historischen Recherchen der MA 11 handelt es sich – darauf habe ich ja in der vorigen Anfragebeantwortung schon hingewiesen – möglicherweise um eine Skartierungspraxis, die wir jetzt auch entsprechend abgestellt haben. Auch das ist eine ganz klare Reaktion, denn gerade dieser Bereich ist natürlich nicht nur im Hier und Jetzt, sondern für die historische Forschung sicherlich auch in weiterer Zukunft, in 20, 30 Jahren von Bedeutung.

 

Der Bericht der Untersuchungskommission Wilhelminenberg stellt aus meiner Sicht ein wichtiges zeithistorisches Dokument dar. Der Bericht ist es wert, genau gelesen zu werden. Ich ersuche auch darum, diesen genau zu lesen. Denn vielfach sind wir mit Schlussfolgerungen konfrontiert, die sich im Bericht so nicht finden; denn da werden vielfach tatsächlich festgestellte Sachverhalte mit Gerüchten in einer Art und Weise vermischt, wie sie, meine ich, dem Leid der Opfer nicht gerecht werden.

 

In gewissen Medien verbreitete Anschuldigungen gegenüber Personen oder Berichte über Vorfälle konnten so, wie in den Medien kolportiert – oder vielfach in der Öffentlichkeit kolportiert, um es besser zu sagen –, von der Wilhelminenberg-Kommission nicht bestätigt werden. Aber keine Frage, die Erziehungspraxis war eine schreckliche. Es haben sexuelle Übergriffe stattgefunden, es haben Vergewaltigungen stattgefunden, es haben Misshandlungen stattgefunden, die sich eindeutig in strafrechtlichem Rahmen bewegt haben.

 

Wie bereits anlässlich der Präsentation des Wilhelminenberg-Berichtes wird die MA 11 diesen Bericht ebenso wie eben den Sieder-Bericht der Staatsanwaltschaft übermitteln. Wir haben das ja auch mit dem Bericht von Prof Sieder gemacht. Ich denke, damit ist tatsächlich eine Grundlage geschaffen worden für weitere Arbeiten der Staatsanwaltschaft, wie sie wahrscheinlich in wenigen Bereichen in der Vergangenheit stattgefunden haben. Sobald wir diesen in der Endfassung und in der entanonymisierten Fassung vorliegen haben, wird er der Staatsanwaltschaft übermittelt.

 

Erfreulicherweise hat es hiezu auch bereits die Kontaktaufnahme der Staatsanwaltschaft mit der Wiener Jugendwohlfahrt gegeben. Es gibt einen eigenen, für diesen Bereich zuständigen Staatsanwalt, und ich denke, das ist ganz, ganz wesentlich.

 

Die Richtigstellungen, die durchaus auch durch diesen Bericht deutlich werden infolge dieser sehr intensiven Untersuchungen – es wurde ja seitens der Wilhelminenberg-Kommission über eineinhalb Jahre daran gearbeitet – zeigen, dass sich die sich in der Erinnerung befindlichen – und ich sage bewusst, in der Erinnerung

 

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