«  1  »

 

Gemeinderat, 45. Sitzung vom 18.11.2013, Wörtliches Protokoll  -  Seite 35 von 107

 

weiterkommen.

 

Ein Thema, das wir auch immer wieder haben und das heute ebenfalls schon mehrfach angesprochen wurde, ist die Frage moderner Bilanzierung und weg von der Kameralistik. Ich weiß schon, man kann eine Stadt wie Wien, die zweitgrößte deutschsprachige Stadt, nicht mit einer Gemeinde vergleichen. Ich tue es trotzdem einmal.

 

Beispiel: Gemeinde Fohnsdorf. Diese Gemeinde wies bei der Rechnungshofprüfung 2010 Schulden von 21,56 Millionen EUR auf. Als dann die Prüfer ein bisschen genauer in die Bücher schauten, fanden sie noch Leasingverbindlichkeiten über 4,14 Millionen, bereinigte Kassenkredite von 2,8 Millionen. Zusätzlich hat die Gemeinde Fohnsdorf noch einige Kostenfaktoren aus dem Budget ausgegliedert, für die dann letzten Endes ja auch die Gemeinde geradestehen muss. Somit schnellte die gesamte Schuld letzten Endes auf 57,8 Millionen hoch, mehr als doppelt so viel, wie offiziell ausgewiesen.

 

Eines zeigt dieses Fallbeispiel ganz sicher: Wir wissen nicht wirklich, welche Schulden Österreich, seine Gemeinden und seine Länder tatsächlich haben, meine Damen und Herren! Das bedeutet für mich, wir brauchen dringend einen österreichweiten Kassensturz, aber nicht nur beim Bund, sondern auch bei den Ländern und Gemeinden. Und zweitens, wir brauchen dringend, als ganz, ganz wichtiges Strategie- und Kontrollinstrument, eine vernünftige Bilanzierung, weg von der mittelalterlichen Kameralistik, meine Damen und Herren! (Beifall bei der ÖVP und von GRin Mag Dr Barbara Kappel.)

 

Erlauben Sie mir zum Schluss noch ein paar - vielleicht zum Teil sogar für den einen oder anderen hier überraschende - Worte zum sogenannten Budgetloch auf Bundesebene.

 

Meine Damen und Herren! Die Vertrauenskrise in der österreichischen Politik ist jetzt wirklich evident. Ich möchte sogar so weit gehen - ohne zu schwarz zu malen -, dass ich sage: Wir sind gar nicht so weit davon entfernt, dass fast das politische System implodieren könnte.

 

Ich habe einmal in meiner Rede zum Budget, vor ziemlich genau zwei Jahren, gesagt: Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar. Dazu stehe ich, davon bin ich überzeugt, dass das richtig ist. Der „Kurier“ hat gestern als Titelgeschichte am Sonntag aufgemacht mit einem Pinocchio, vor dem Parlament abgebildet, Überschrift: Alles nur Lügner. Das tut mir weh, das sollte jedem von uns hier herinnen weh tun, und natürlich auch unseren Politikern im Bund.

 

Ich sage das in aller Demut und Selbstkritik, meine Damen und Herren, und auch im Bewusstsein dessen, dass meine Partei seit Jahrzehnten in der Regierung ist: Das Bild, das die Bundespolitik in den letzten Tagen und Wochen nach der Wahl geboten hat, ist ein Trauerspiel, meine Damen und Herren! Dafür müssen wir uns alle genieren: einmal 20 Milliarden, einmal 30 Milliarden, einmal 40 Milliarden, nichts Genaues weiß man nicht. Meine Damen und Herren, wenn ich das als Unternehmer mache, wenn ich das als Unternehmer bei meiner Bank mache (GRin Ing Isabella Leeb: ... wird eingesperrt!), stehe ich mit einem Bein in der Krida mit Bilanzfälschung, meine Damen und Herren! (Beifall bei der ÖVP.)

 

Was dieses Land braucht, ist der Tatbestand der politischen Krida, meine Damen und Herren! So ein Desaster darf nicht noch einmal passieren. Die Glaubwürdigkeit der Politik hat in den letzten Wochen enorm gelitten. Dietmar Ecker, Ihnen bekannter PR-Berater, hat gesagt: „Die Debatte ums Budgetloch war ein kommunikatives Debakel.“

 

Alles, was in diesem Zusammenhang gesagt wurde über Budgetdaten, über Budgetloch, da ist, glaube ich, fast alles kommunikativ falsch gemacht worden, was nur irgendwie möglich ist. Ich finde es schon bezeichnend, dass Herr Bgm Häupl gestern in der „Pressestunde“ gesagt hat, es gibt eigentlich gar kein Budgetloch. Also ich weiß nicht, wo bei ihm das Loch oder das Debakel oder das Problem anfängt! Sind ja eh nur ein paar Milliarden, jetzt egal, über welchen Zeitraum, 20, 30, 40 Jahre. Jedes Jahr ein paar Milliarden - wir zahlen sie ja eh am Schluss. (GRin Martina Ludwig-Faymann: In der Prognose, sagt er!) Natürlich, Ihre Einstellung: Wir zahlen sie ja eh am Schluss!

 

Ich sage ja, ich habe das ohne Ansehen der Partei gesagt. Da kann ich genauso bei uns zu suchen anfangen. (GRin Martina Ludwig-Faymann: Aber verstehen haben Sie es nicht können!) Es ist bei beiden so. (GRin Martina Ludwig-Faymann: Haben Sie nicht verstanden, was eine Prognose ist?)

 

Meine Damen und Herren! Rechnungshofpräsident Moser hat gesagt: Wenn nichts passiert, fahren wir gegen die Wand. - Das ist vielleicht eine etwas kernige Aussage, aber sie ist im Prinzip richtig. Bremsen wir bei den Schulden, lenken wir dagegen, meine Damen und Herren! Und vor allem: Haben wir Mut zur Wahrheit! (Beifall bei der ÖVP.)

 

Vorsitzender GR Mag Dietbert Kowarik: Als nächster Redner zum Wort gemeldet ist Herr GR Margulies. (GR Dipl-Ing Martin Margulies begibt sich vom Schriftführerplatz zum Rednerpult.) Ich bitte einen Schriftführer, kurz an seiner Stelle Platz zu nehmen. 20 Minuten werden eingestellt. - Bitte.

 

12.44.24

GR Dipl-Ing Martin Margulies (Grüner Klub im Rathaus): Sehr geehrte Damen und Herren!

 

Zwei Bemerkungen vorweg, eine zum Kollegen Schock, die mir bei seinem Redebeitrag als Zwischenruf auf der Zunge gelegen ist - dann habe ich mir gedacht: Er ist es nicht wert. Aber die Klarstellung ist mir wichtig: Ja, ich mache Politik für alle Wienerinnen und Wiener, und ich unterscheide nicht wie die FPÖ nach dem Reisepass. Das ist mir wichtig, und ich glaube, wir alle werden dafür gewählt, dass wir Politik für Wienerinnen und Wiener machen. (Beifall bei den GRÜNEN.) Was die FPÖ in ihrer Klientelpolitik macht, soll sie tun; das unterscheidet uns.

 

Zweiter Punkt, in aller Kürze, zum Kollegen Jung, der sich herausgestellt hat, die Europapolitik zum Vorwand genommen hat, um eigentlich über Europa zu schimpfen, und an deren Ende gestellt hat: Na, und wenn alles nichts nützt, dann muss man aus Europa austreten. Und die

 

«  1  »

Verantwortlich für diese Seite:
Stadt Wien | Geschäftsstelle Landtag, Gemeinderat, Landesregierung und Stadtsenat (Magistratsdirektion)
Kontaktformular