Gemeinderat, 66. Sitzung vom 24.04.2015, Wörtliches Protokoll - Seite 31 von 86
lungen, insbesondere des Flüchtlingsdramas, das sich prolongiert vor den Toren Europas abspielt, maximal als schöne Vision bezeichnen kann und ich der Meinung bin, dass derzeit die EU-Institutionen eigentlich bei all den drei Themen, die wir hier als Vision formulieren - Wohlstand, Zukunft sichern und in den Frieden investieren - glatt versagen! Das möchte ich einmal feststellen! (Beifall von GR Mag Johann Gudenus, MAIS.)
Das Mittelmeer als Massengrab: Michael Chalupka, der Direktor der Diakonie, hat am Montag bei dieser ergreifenden Trauerveranstaltung am Minoritenplatz, an der ich auch teilgenommen habe, gesagt: „strukturierte Verantwortungslosigkeit der europäischen Institutionen.“ Ich denke, dem ist nichts hinzuzufügen, auch nach dem gestrigen Sondergipfel der EU, der zwar sicher insofern Fortschritte gebracht hat, indem wenigstens die Budgetmittel in diesem Bereich aufgestockt werden, aber eigentlich weit hinter das zurückgeht, was man als menschenwürdige Lösung bezeichnen kann und bizarre Vorschläge gebracht hat, wie, hier plötzlich militärisch vorzugehen. Man muss sich einmal die Umdeutung der Begriffe auf der Zunge zergehen lassen. Vor Wochen hat man über Flüchtlingsboote geredet und jetzt heißen sie auf einmal nur mehr Schlepperboote. Nur die Schlepper sind jetzt schuld. Flüchtlinge, Flüchtlingsboote, Rettung von Menschen kommt in der Terminologie der Ergebnisse des gestrigen Gipfels überhaupt nicht vor! Ich denke, dieser Schande Europas müssen wir alle gemeinsam und entschlossen endlich ein Ende bereiten! (Beifall bei GRÜNEN und SPÖ.)
Es braucht in erster Linie ein Seenotrettungsprogramm, das Menschenleben rettet, wie es das „Mare Nostrum“-Programm war. Wir haben im Europaparlament auch eine Initiative gestartet - Kollege Leichtfried, glaube ich, hat schon unterschrieben -, dass wir als EuropaparlamentarierInnen das EU-Budget, das wir noch vor dem Sommer abstimmen werden, ablehnen, wenn es keine entsprechenden Budgetmittel zur Seenotrettung von Menschen - nicht zum Grenzschutz - gibt. (Beifall bei den GRÜNEN.)
Die Menschenrechtspolitik und nicht die sogenannte vermeintliche Kriminalitätsbekämpfung muss hier im Vordergrund stehen. Ich denke, hier geht es um die Glaubwürdigkeit der EU, die Glaubwürdigkeit von uns allen und dass wir überhaupt das Wort Solidarität noch in den Mund nehmen dürfen. Ich begrüße es sehr, dass der Wiener Gemeinderat heute - mein Kollege Klaus Werner-Lobo wird nachher viel ausführlicher dazu sprechen - eine entsprechende Stellungnahme verabschieden wird.
Zur historischen Rolle des EU-Beitritts vielleicht ein paar Worte aus grüner Sicht: Die GRÜNEN hatten sich damals, wie bekannt, beim EU-Beitritt mehrheitlich für ein Nein ausgesprochen. Ja zu Europa, Nein zur EU, haben wir damals gesagt, haben uns aber nach dem eindeutigen Entscheid der Bevölkerung dafür entschieden, a) natürlich, das Ergebnis zu akzeptieren und b) innerhalb der EU aktiv für mehr Demokratie, für ein soziales Europa, für eine Sozialunion, für Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit zu kämpfen. Ich denke, dass sich diese Linie aus heutiger Sicht als richtig und zielführend herausgestellt hat. Ich denke, die Mitgliedschaft in der EU hat auch Veränderungen und Reformen gebracht, die ohne den Beitritt unterblieben oder lange verzögert worden wären.
Sprechen wir zum Beispiel von der Gleichbehandlungsrichtlinie am Arbeitsmarkt, von Antidiskriminierungsbestimmungen, von der Freizügigkeit von ArbeitnehmerInnen am Arbeitsmarkt oder von der Öffnung der Gemeindebauten für Drittstaatsangehörige. Dies sind, denke ich, wirklich Reformen, die einen Impuls aus der Europäischen Union gebraucht haben, die wir sonst auf Grund der politischen Verhältnisse in Österreich wahrscheinlich nur sehr verzögert oder gar nicht erreicht hätten.
Ich denke auch, dass die Analyse stimmt, dass der Beitritt, insbesondere dann durch die Osterweiterung, auch wirtschaftliche Vorteile gebracht hat. Selbstverständlich war natürlich die politische Mitsprache der wichtigste Effekt. Damals war auch noch der Europäische Wirtschaftsraum im Gespräch, ob wir eventuell nur dem Europäischen Wirtschaftsraum und nicht der EU beitreten sollten. Es hat hier eine Mitsprachemöglichkeit gebracht, die weit über die anderen strategischen Möglichkeiten, die Österreich gehabt hätte, hinausgeht. Ich denke, das ist wichtig, denn globale Krisen, das sehen wir auch, sind isoliert auf nationalstaatlicher Ebene nicht mehr zu bekämpfen.
Andererseits müssen wir schon auch sehen und müssen wir immer dazusagen, wer denn die ProfiteurInnen dieser wirtschaftlichen Integration sind. Nicht wenige sagen, wegen des EU-Beitritts und der Politik des Neoliberalismus - ich denke, es ist unbestritten, dass die EU ein Vehikel des Neoliberalismus ist, das wird niemand leugnen - geht die Schere zwischen Arm und Reich in Europa dramatisch auseinander, steigt die Armut, steigt die Zahl der Menschen, die trotz Arbeit nicht leben können und steigt natürlich, das sehen wir tagtäglich in ganz Europa, in den sogenannten reichen und in den sogenannten ärmeren Ländern - diese Arm-und-Reich-Terminologie ist keine sehr geglückte - die Zahl der VerliererInnen dieser Art von Politik. Wir sehen das mittlerweile im Massenwiderstand auf Europas Straßen, Widerstand gegen die Krisenpolitik der europäischen Regierungen und der Troika. Die Menschen haben genug von dieser Politik, die nur Banken und Finanzinvestoren rettet, Sozialsysteme zerstört und Arbeitsrechte aushöhlt. Wir brauchen nur das Beispiel Griechenland anzuschauen: höchste Kindersterblichkeit Europas in Griechenland, 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit, die medizinische Versorgung vollständig zusammengebrochen. Da frage ich mich schon, wenn ich jetzt wieder auf den Titel der heutigen Einladung repliziere: Ist das die Politik Europas für Wohlstand und Frieden? - Sicher nicht!
Ich denke, wenn wir mit dieser Politik weitermachen, dann werden wir auch den Rechtsnationalisten und den Rechtsextremen die Wahlerfolge weiter am Tablett servieren. Das ist sicher etwas, was wir entschieden bekämpfen, was wir verhindern müssen und was nicht im europäischen Interesse sein kann. Denn, und ich denke, das ist vielleicht die wichtigste Botschaft heute, die EU ist
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