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Gemeinderat, 11. Sitzung vom 29.06.2016, Wörtliches Protokoll  -  Seite 30 von 102

 

In Österreich gab es von Beginn der Gründung der Republik an eine starke Diskussion, ob man jetzt ein Proporzsystem oder ein Mehrheitssystem haben möchte, historisch auch durchaus berechtigt, auf Grund der schrecklichen Ereignisse des österreichischen Bürgerkrieges, wo zwei große Parteien blutvergießend gegeneinander auch gekämpft haben. Das war historisch gesehen der Hauptgrund für die Proporzregierung, aber ich glaube nicht, dass das heute ein legitimer Grund ist, dass man Proporzsysteme begrüßt und braucht. (Beifall bei den NEOS.) Ich glaube nicht, dass in Wien ein Bürgerkrieg ausbrechen wird, wenn nicht mehr die größten Parteien gesamt in der Regierung vertreten sind, sondern nur noch die Exekutive, die exekutierenden Regierungsparteien.

 

Dementsprechend ist es historisch überkommen, und das Proporzsystem hat auch starke Konstruktionsnachteile, weil Regierung und Opposition verschwimmen. Man merkt es ja auch, dass es in Wien nicht gelebt wird, dass es im Stadtsenat nicht diese Art der Konsensbildung gibt, die das System eigentlich bedingen sollte. Dementsprechend ist das Proporzsystem in Wien auch abzulehnen.

 

Aber nun weg von der theoretischen Abhandlung zur Realverfassung in Österreich. Es ist ja so, dass sich die gewählten Mehrheitsparteien im Vorhinein sehr genau ausmachen, wer welche Ämter, wer welche Ressorts als amtsführender Stadtrat übernehmen wird, und wer nicht amtsführender Stadtrat wird, natürlich die Parteien, die nicht in der Koalition sind. Dabei führt das natürlich dazu, dass die der Nichtregierungsfraktionen auch keine Ressorts haben.

 

Besonders absurd zeigt sich das zum Beispiel im Burgenland, wo ein Kollege von Ihnen, der FPÖ, Wolfgang Rauter, früher einmal nicht amtsführender Stadtrat beziehungsweise dann amtsführender Stadtrat für Seilbahnwesen wurde, obwohl es im Burgenland keine einzige Seilbahn gibt. (Beifall bei den NEOS. - Zwischenruf von GR Mag. Dietbert Kowarik.) Daran merkt man die Pervertierung des Systems, aber Sie könnten sich ja auch einsetzten, dass Frau Ursula Stenzel zum Beispiel Stadträtin für Berghütten wird, weil das wäre in Wien auch eine schöne Aufgabe, dass man alle Berghütten besucht und begrüßt. Das wäre zum Beispiel eine Reform des Systems, wo Sie dann auch eine konkrete Aufgabe haben.

 

Wie Beate Meinl-Reisinger vorher schon ausgeführt hat, ist es antiquiert, das gibt es in kaum einem Bundesland mehr. In Vorarlberg hat es das nie gegeben, in vielen anderen Bundesländern ist es abgeschafft worden, in Tirol und Salzburg 1998, mit gutem Grund. Sie sind auch sehr zufrieden damit, dass sie das endlich abgeschafft haben, weil sie gesehen haben, es bringt keinen Nutzen für eine Stadt, dieses System zu haben. Im letzten Jahr wurden in Burgenland und Steiermark nicht amtsführende Stadträte beziehungsweise das Proporzsystem abgeschafft, und Kärnten soll 2018 folgen.

 

Das heißt, es ist an der Zeit, dass wir in Wien auch nachziehen, damit es hier endlich ein Mehrheitssystem und kein Proporzsystem gibt. Es gibt im Osten den Unterschied natürlich zu Oberösterreich und Niederösterreich, wo es aber auch ein wirkliches Proporzsystem gibt, wo wirklich jeder Stadtrat ein Ressort hat und dieses mit Leben ausgefüllt wird. Das ist natürlich ein Variante, wie es zu verwenden ist. (GR Armin Blind: Sie haben keine Ahnung! Sie verwechseln Stadträte und Landesräte!) Wenn Sie glauben, jeder hat die Aufgabe, noch einmal der Hinweis auf Ihren burgenländischen Kollegen, Herrn Rauter, zuständig für Seilbahnen, nicht unbedingt das, was wir haben wollen. (Beifall bei den NEOS.) Aber, wenn es Ihnen wert ist, okay, schön und gut. Auf jeden Fall wird es in Oberösterreich und Niederösterreich zumindest ansatzweise so gelebt, dass man sagen könnte, es ist sinnvoll.

 

Aber das Proporzsystem, wie wir es leben, ist für mich eigentlich typisch österreichisch, das Schlechteste von beiden Welten der Theoretiker Kelsen und Popper, wie sie es sich gedacht haben. Das Schlechteste vom Proporzsystem und das Schlechteste vom Mehrheitssystem, weil es kein echtes Proporzsystem ist, weil wir nicht zu einer gemeinsamen Willensbildung kommen, wie wir hier in diesem Haus auch merken. Die Opposition und auch die nicht amtsführenden Stadträte der Opposition haben sehr geringen Einfluss auf das, was wir hier beschließen. Dementsprechend ist es ein Posten, der nur am Papier existiert, und auch die Kontrollrechte, die immer wieder vorgeführt werden, sind ja de facto nicht sehr weitreichend beziehungsweise könnten hier auch gelebt werden. Es ist hier das Negativste vom Proporzsystem, was wir haben.

 

Man muss nicht alle Parteien dazu zwingen, zu einer gemeinsamen Regierung zu kommen. Es ist für mich okay, wenn es im Mehrheitssystem eine Regierung gibt, die klar verantwortlich ist, und die man dann auch abwählen kann. Es ist schade, dass der Status, wie er jetzt ist, so einzementiert wurde, und es wäre wichtig, dass wir dies auch endlich ändern. (GR Mag. Dietbert Kowarik: Es hat sich nichts geändert! Es wurde nicht einzementiert!) Natürlich, weil Sie immer wieder auf die Bundesebene verweisen, mir ist durchaus bewusst, dass es eine Frage der Bundesverfassung ist, wo wir auch schon seit 2013 Anträge diesbezüglich eingebracht haben. Das können Sie Ihren Kollegen gerne auch einmal sagen, dass wir das auf dieser Ebene verändern sollten, aber man kann auch auf Wiener Ebene etwas tun. Die Bezüge kann man zum Beispiel dementsprechend verändern, weil es nicht legitim ist, dass ein nicht amtsführender Stadtrat so viel bekommt wie ein Nationalratsabgeordneter. Also, wenn Sie immer auf die Wien-Ebene gehen, dann können Sie nächstes Mal gerne mit dem Antrag mitgehen, dass wir die Bezüge der nicht amtsführenden Stadträte auch senken oder auch die zusätzlichen Privilegien, die es gibt, zwei zusätzliche Mitarbeiterstellen oder zusätzliche Büroräumlichkeiten. Das können wir schon hier in Wien machen, da braucht man nur den Willen auch der anderen Parteien. Das ist also auch hier die Aufforderung an die Parteien, die sagen, ja, es soll abgeschafft werden: Gehen wir den ersten Schritt, machen wir diese Funktion unattraktiv und überholt, indem wir die Bezüge auch senken. (Beifall bei den NEOS.)

 

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