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Gemeinderat, 11. Sitzung vom 29.06.2016, Wörtliches Protokoll  -  Seite 76 von 102

 

verschiedener Gruppierungen und auch des Menschen mit der Umwelt möglich sind. Und wenn Entwicklungszusammenarbeit gelingt, dann haben auch die vielen Migrationswilligen vielleicht weniger Gründe, von ihrem Zuhause wegzugehen.

 

Anders sind die Mittel der Entwicklungszusammenarbeit: Dabei geht es zum Beispiel um das Schaffen eines funktionierenden Staates mit Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit, um das Aufbauen einer umfassenden Infrastruktur, um die Schaffung eines Bildungssystems, eines Gesundheitssystems und um die Schaffung von - wie ich es einmal bezeichne - Entfaltungsmitteln, nämlich einen Zugang zur Technologie oder Finanzierungen wie Mikrokrediten.

 

Uns liegen heute mehrere Projekte zur Abstimmung vor, und wie Sie wissen, werden wir fast allen Projekten zustimmen, weil genau diese Kriterien beachtet wurden, nämlich die Mittel der Entwicklungszusammenarbeit im Hinblick auf und für die Ziele der Entwicklungszusammenarbeit.

 

In einem Projekt sehen wir das nicht verwirklicht, nämlich im Projekt PHASE Austria zum Selfempowerment von Mädchen in Nepal. Wie schon im Projektansuchen steht, geht es den Nepalesen nicht gut. 80 Prozent der Bevölkerung hungern zeitweise, nicht immer, je nach Jahreszeit. Es gibt viele unterernährte Kinder. 38 Prozent der Frauen sind Analphabetinnen, und die Lebenserwartung in Nepal ist die geringste in ganz Asien. Das Gesundheits- und Bildungswesen ist kaum entwickelt.

 

Und nun kommt ein Projekt mit Förderung der Stadt Wien, das - wie es uns scheint - die Bedürfnispyramide umdreht. Im Rahmen des Projektes betreffend Empowerment für Mädchen werden sie über ihre Rechte aufgeklärt. Das ist natürlich wichtig, Sie dürfen mich jetzt nicht falsch verstehen! Aber man spricht diesfalls zu unterernährten Mädchen, die nie eine Schule gesehen haben, die vielleicht auch noch nicht in einem adäquaten Haus leben und kein Dach über dem Kopf haben, weil die Zerstörungen durch das Erdbeben noch nicht wieder voll behoben sind.

 

Ein zweiter Grund, warum wir mit dieser Vorgangsweise nicht zufrieden sind, ist, dass man zwar - richtigerweise - sagt, dass Frauen die Leidtragenden beziehungsweise Opfer der Gewalt, auch der sexualisierten Gewalt sind und von ihren Eltern nicht in Bildungseinrichtungen geschickt werden, weil man meint, dass Mädchen keine Bildung brauchen. Es genügt aber nicht, diese Aufklärungsarbeit nur bei den Mädchen selbst zu leisten, sondern muss man sich dabei gerade auch an die Eltern und an jene wenden, die die Frauen schlecht behandeln.

 

Wir haben bisher die Projekte von PHASE Austria immer unterstützt, haben sie sehr vernünftig gefunden und hoffen, dass die Projekte in Zukunft wieder ebenso gut sein werden wie die früheren, die wir unterstützt haben, und werden dann diese Projekte auch wieder sehr gerne mittragen.

 

Jetzt möchte ich noch ein anderes Projekt erwähnen, das ein gutes Beispiel sein kann. Ich habe mich heute extra für Sie mit Schmuck geschmückt, der von Frauen aus Uganda angefertigt wurde. 50 Frauen in den Slums in Uganda haben gelernt, wie sie aus Altpapier Schmuck basteln, und dieser wird über die Entwicklungshilfepartner auch verkauft. Ich finde diesen sehr schön! Ich glaube, das ist echtes Empowerment, dass man den Menschen die Möglichkeit gibt, ihr Leben selber in die Hand zu nehmen, dass man ihnen zeigt, dass das gehen kann, dass sie für ihr Leben verantwortlich sind und ihre Familien ernähren können, und das mit einem kleinen Projekt: 50 Frauen - 50 Familien. Das ist echte Entwicklungszusammenarbeit!

 

Für Wien möchte ich einen Gedanken mitgeben: Wir wissen, dass viele Konfliktherde dieser Welt eigentlich Konflikte sind, in denen es um Ressourcen geht, dass es zum Beispiel um Wasserknappheit geht. Nach außen präsentiert sich das wie ein ethnischer Konflikt des Nordens gegen den Süden, in Wirklichkeit geht es aber um Ressourcen. - Ich glaube, Wien kann einiges an Wissen und Kompetenzen exportieren, vielleicht nicht gerade im Gesundheitssystem, wie wir heute Früh gehört haben, aber ich denke, zum Beispiel gerade betreffend Aufbereitung von Wasser könnte man einiges tun. Dort, wo man technisch innovative Lösungen braucht, könnte man auch zum Beispiel in Zusammenarbeit mit der BOKU individuelle Lösungen suchen! - Ich glaube, Wien muss Botschafterin für die Menschenrechte und für die Werte werden, die ein freies, selbstbestimmtes Leben möglich machen. Wien kann das werden und muss es noch viel mehr werden!

 

Aber ich darf jetzt noch ein anderes internationales Thema ansprechen. Es ist dies ein trauriges Thema, aber ich freue mich, dass dieses Thema hier im Gemeinderat gemeinsam angesprochen werden kann, und zwar die Frage der Verbrechen des Islamischen Staats und der Anerkennung dieser Verbrechen als Völkermord. - Erinnern Sie sich: Als der Völkermord in Kambodscha stattgefunden hat, hat man viel zu spät gesagt, dass es sich um Völkermord handelt! Die Staatengemeinschaft hätte eingreifen müssen!

 

Und genau das Gleiche ist in Ruanda wieder passiert: Man hat beim Völkermord zugesehen, irgendwann hat man dann begonnen, darüber zu diskutieren und etwas zu tun, aber viel zu spät. - Handeln wir diesmal anders!

 

Ich habe die Initiative ergriffen, einen Beschlussantrag zu fassen, dass der Wiener Gemeinderat die einstimmige Resolution des Europäischen Parlaments begrüßt und damit auch inhaltlich teilt, in der die Verbrechen des Islamischen Staates an verschiedene Minderheiten, Christen, Jesiden, aber auch anderen Minderheiten, als Völkermord bezeichnet werden. Warum ist das wichtig? - Im Moment sind diese Menschenrechtsverletzungen beziehungsweise diese Verbrechen nicht viel mehr als ein Kopfweh der Staatengemeinschaft. Ich glaube, dass wir durch die Anerkennung dieser Verbrechen als Völkermord das Vorgehen gegen diese Verbrechen als vorrangiges gemeinsames Anliegen sehen können, und das beginnt damit, dass dieses Anliegen, wenn wir das jetzt so ausdrücken, hoffentlich dann einen Weg in weitere Parlamente und schlussendlich in den

 

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