Gemeinderat, 17. Sitzung vom 12.12.2016, Wörtliches Protokoll - Seite 34 von 129
Interessant ist aber, dass bei der letzten EU-Wahl dann weniger zur Wahl gegangen sind als die, die gesagt haben, ich habe das Gefühl, dass meine Stimme zählt, nämlich 45 Prozent.
Auf die zweite Frage: „Fühlen Sie sich als EU-Bürger?“, haben fast 70 Prozent der Österreicher Ja gesagt, 30 Prozent haben Nein gesagt. Ich glaube, diese Zahl könnten wir noch verbessern. Und ich glaube, dass die Feindlichkeit gegenüber Internationalem oder auch internationalem Handel da nicht hilft. Und unsere CETA-Diskussion - und ich schaue jetzt zu den Kollegen von den GRÜNEN, aber auch von der Sozialdemokratischen Fraktion - hat da nicht geholfen. In der „Presse“ war am 24. November über einen Vergleich von Schulbüchern zu lesen und über die Frage, wie unsere Kinder lernen, was Handel und internationaler Handel bedeuten. Da steht drinnen, durch den internationalen Handel gehen bei uns Arbeitsplätze verloren, und dann sieht man Bilder, wie in Bangladesch ein Fabrikgebäude eingestürzt ist, wobei es zig Tote gab. Und dann heißt es dazu in der „Presse“: „Nach der Lektüre waren die Schüler mehrheitlich sicher: Handel ist schlecht.“
Ich glaube, eine Diskussion, die in diese Richtung geht, tut uns nicht gut und hilft uns auch nicht, wenn wir Europa nach Wien holen wollen.
Die Österreicher sorgen sich im Eurobarometer mehr als die anderen Europäer, wenn es um die Frage geht: Wie geht es mit dem Staatshaushalt? - das passt auch zu unserer Debatte heute -, aber auch im Hinblick auf die Themen Kriminalität, Arbeitsbedingungen und Anstieg der Armut. Da habe ich auch eine Zahl für Sie mitgebracht: Kinder und Jugendliche in Europa. Wir haben 27,4 Millionen Kinder und Jugendliche, die akut armutsgefährdet sind. Das ist ein Thema, das eigentlich Familie betrifft: Einer von vier Europäern ist armutsgefährdet, bei Mehrkinderfamilien sind es aber zwei von drei, und bei Alleinerziehern ist es sogar einer von zwei Europäern. Das ist ein Ruf an uns alle, nämlich an Wien, an Österreich, aber auch an ganz Europa, denn Familienpolitik ist eine Querschnittsmaterie, und hier müssen wir auf allen Ebenen familienfreundlichere Maßnahmen setzen.
Vielleicht noch ein letzter Gedanke zum Brexit. Der hat nämlich entgegen dem allgemeinen Gefühl noch gar nicht stattgefunden, und ich glaube, dass wir auch als Stadt Wien hier noch einen Beitrag leisten können, nämlich dahin gehend, dass Großbritannien vielleicht doch gesichtswahrend in der EU bleiben kann. Ich hätte da einen ganz konkreten Vorschlag, Frau Stadträtin (sich zum derzeit nicht besetzten Berichterstatterpult umdrehend) - ach so, sie ist nicht mehr da; also bitte das an sie weiterzuleiten -: Vielleicht können wir eine Delegation der Stadt Wien nach London schicken - da fahre ich auch gerne mit -, alle Europasprecher, unter dem Motto: „Wien trifft London, und wir laden euch ein zum Exit vom Brexit!“, und versuchen, einen Weg zu finden und zu sagen, bleibt doch da, in der EU!
Ich nehme aus dem Brexit zwei Dinge mit, und ich habe das auch schon bei der letzten Spezialdebatte zum Thema Europa gesagt. Das Erste: Wir müssen den Menschen das Gefühl geben, dass sie Europa mitgestalten können und dass jede Stimme zählt. Das Zweite ist aber, dass sich die Politik nicht alles erlauben darf, dass nämlich eine unverständliche Politik, die von oben herab gemacht wird, an den Anliegen der Menschen vorbeigeht, dass die Überregulierung, aber auch die Sozialunion und die Überforderung der nationalen oder kulturellen Identität uns nicht weiterbringen und dass wir keine Ideologisierung brauchen, sondern eine Politik, die die eigentlichen Anliegen und die Sorgen der Menschen aufgreift. Nur so kann Europa gelingen, und nur so kann Europa ein sicheres Umfeld für Wien sein. - Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP.)
Vorsitzende GRin Gabriele Mörk: Die ÖVP hätte noch eine fraktionelle Restredezeit von 7 Minuten. Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau GRin Meinhard-Schiebel. Ich erteile es ihr. Selbstgewählte Redezeit 6 Minuten.
GRin Brigitte Meinhard-Schiebel (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Europa geht uns alle an, und dazu braucht es ein Budget. Gestern vor einer Woche hat sich etwas ereignet, dessen europapolitische Bedeutung sich vielleicht erst in einigen Jahren erschließen wird: Die österreichische Bevölkerung hat eine Wahl getroffen und mit diesem Akt ein Zeichen gesetzt, das in der ganzen Welt registriert wurde. Die Politik der letzten Monate war ja von einem nahezu unaufhaltsamen Vormarsch rechtspopulistischer bis rechtsextremer Parteien geprägt und von sogenannten Wutabstimmungen bei Referenden, die oft genug einen politischen Scherbenhaufen hinterlassen haben. Doch am 4. Dezember geschah etwas, das angesichts der weltweiten Ereignisse fast wie ein Märchen anmutet: Ein kleines Volk in Mitteleuropa widersetzt sich dem Trend, der alle rundherum zu erfassen scheint, und erteilt Rechtspopulismus und Demagogie eine deutliche Abfuhr. (Beifall bei den GRÜNEN und von GR Dr. Kurt Stürzenbecher. - GR Mag. Wolfgang Jung: So deutlich wie der Applaus, den Sie jetzt gekriegt haben!)
Viele Analysen sind schon veröffentlicht worden und werden wohl noch erstellt werden, aber eines lässt sich mit Sicherheit behaupten: Das Thema Europa hat entscheidend dazu beigetragen, dass Alexander Van der Bellen entgegen allen Prognosen und Umfragen mit fast 54 Prozent der Stimmen einen Erdrutschsieg gegen Norbert Hofer errungen hat. Er hat glaubwürdig und überzeugend argumentiert, dass gerade angesichts der gegenwärtigen Krise ein Mehr an Europa und ein Zusammenrücken der EU-Mitgliedstaaten notwendig ist, anstatt sich dauernd abzuschotten und nationalistische Ressentiments zu pflegen. Während die FPÖ auf EU-Ebene mit zahlreichen rechtsextremen Parteien, deren offenes Ziel die Zerstörung der Europäischen Union ist, eng zusammenarbeitet und ihre Sympathien für diverse autoritäre Regime kaum versteckt, betonte Van der Bellen unermüdlich, wie wichtig der demokratisch-rechtsstaatliche europäische Weg ist und dass die Außenpolitik Österreichs und des Bundespräsidenten diesen Weg nicht verlassen soll. Diese Einschätzung wurde übrigens von der Mehrheit der österreichischen Bevölke
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