Gemeinderat, 29. Sitzung vom 20.11.2017, Wörtliches Protokoll - Seite 56 von 135
darum, diesem Verteilungskampf - der von Multis, aber auch von Seiten der Wirtschaft allgemein seit zehn Jahren wieder geführt wird, wo es darum geht, den werktätigen Menschen so wenig wie möglich zu geben und möglichst viel für sich selber zu halten -, diesem Klassenkampf von oben gilt es, endlich einmal entgegenzutreten und zu sagen, es geht jetzt darum, dass den Menschen, die arbeiten gehen, wieder mehr übrig bleibt. - Ich danke sehr. (Beifall bei den GRÜNEN.)
Vorsitzende GRin Gabriele Mörk: Das waren genau 7 Minuten. Die Grünen hätten noch eine Restredezeit von 3 Minuten. Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr GR Stark. Selbstgewählte Redezeit 9 Minuten.
GR Rudolf Stark (FPÖ): Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Sehr geehrte Frau Stadtrat! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Auch heuer werde ich wieder über die Klein- und Mittelbetriebe sprechen, da die KMUs weiterhin ein Stiefkind der Wiener Wirtschaft sind. Auch wenn man in Wirtschaftsmagazinen immer wieder liest, dass Banken ausreichend Geld für Kredite hätten und diese derzeit zu sehr günstigen Bedingungen angeboten werden - man liest von einigen wenigen Prozenten -, stehen diese Kredite im Regelfall nicht vielen KMUs zur Verfügung. Das Problem entsteht bei der Risikoanalyse. Bei dieser Analyse wird bewertet, ob das Unternehmen kreditwürdig ist oder nicht, beziehungsweise zu welchen Bedingungen, wie zum Beispiel, zu welcher Verzinsung Kredite vergeben werden. Auch Kredite, die bereits seit vielen Jahren laufen und pünktlich getilgt werden, werden auch weiterhin von den Banken jährlich genauestens überprüft. Der Grund sind unter anderem die Bestimmungen von Basel II. Und nur am Rande bemerkt: Wir können froh sein, dass die Bestimmungen von Basel III von den Banken noch nicht angewendet werden. Das Hauptproblem der KMUs in Wien ist das geringe Eigenkapital. Auf dieses Problem habe ich hier schon oftmals hingewiesen und dies auch mit entsprechendem Zahlenmaterial belegt. Was bedeutet zu wenig Eigenkapital? Fremdkapital! Das bedeutet Kredite. Täglich flattern bei mir in der Steuerberatungskanzlei Briefe der Banken betreffend Klienten herein, wie zum Beispiel: Achtung, Limit läuft ab! Transparenz durch Basel II. Deshalb benötigen wir auch heuer wieder aktuelle Bilanzen, Einnahmen-/Ausgabenrechnungen, Einkommenssteuererklärungen, aktuellen Auszug des Finanzamtes, aktuellen Auszug der Gebietskrankenkasse, aktuelle Saldenliste, und so weiter, und so weiter, weil die Banken wieder Unterlagen verlangen. Die Bilanzen und Jahresabschlüsse dieser Unternehmen werden dann von den Banken auf Grund der Bestimmungen von Basel II genauestens überprüft. Sollten die Jahresabschlüsse dann nicht den Vorstellungen der Kreditinstitute entsprechen, die Probleme liegen im Regelfall beim Eigenkapital beziehungsweise bei der Sicherstellung, hat dies für das Unternehmen oftmals sehr böse Folgen. Im extremsten Fall kann es sogar zu einer Fälligstellung der Kreditrestschuld kommen. Das bedeutet für das Unternehmen dann Zahlungsunfähigkeit und letztendlich Insolvenz. Dies spiegelt sich leider auch in der Insolvenzstatistik wider. Die Zahl der Gesamtinsolvenzen, also die Summe aus Unternehmensinsolvenzen und Privatinsolvenzen, ist heuer im 1. Halbjahr leicht gesunken.
Zu den Privatinsolvenzen ist anzumerken, dass es sich hier nicht nur um Privatpersonen im Sinn von Nichtunternehmen handelt. Ein wesentlicher Teil dieser Privatinsolvenzen betrifft Einzelunternehmen, bei denen durch den Fristenlauf des Insolvenzverfahrens der Unternehmer den Insolvenzantrag erst stellen konnte, nachdem der Rollbalken des Unternehmens unten war, und somit aus dieser Unternehmensinsolvenz eine Privatinsolvenz wurde. Also ein Großteil dieser Privatinsolvenzen betrifft ehemalige Klein- und Mittelbetriebe.
Im 1. Halbjahr 2017 hatten wir in Wien 2.376 Gesamtinsolvenzen. Erfreulich dabei ist, wie ich vorhin schon erwähnt habe, dass dies gegenüber dem Vorjahr ein leichter Rückgang ist. Das bedeutet aber leider noch immer, dass es in Wien 8 Insolvenzen pro Tag gibt. Bei den Unternehmensinsolvenzen war leider kein Rückgang zu verzeichnen. Die Unternehmensinsolvenzen sind leider sogar leicht angestiegen, und zwar von 892 auf 933 im 1. Halbjahr 2017. Dies bedeutet einen Anstieg um 4,6 Prozent. Österreichweit gab es 2.782 Unternehmensinsolvenzen. Der Anteil Wiens mit 933 Insolvenzen beträgt 33,5 Prozent von Gesamtösterreich. In Wien sind die Unternehmensinsolvenzen gestiegen. Dies entspricht aber nicht dem Bundestrend. In Tirol, Vorarlberg, der Steiermark und im Burgenland waren die Unternehmensinsolvenzen sogar rückläufig, in der Steiermark zum Beispiel um 15 Prozent, im Burgenland sogar um 18 Prozent. Legt man diese 933 Insolvenzen auf Arbeitstage um, kommt man ziemlich genau auf 4 Insolvenzen pro Arbeitstag. Das bedeutet, dass in diesen 2 Budgettagen, die wir hier debattieren, in Wien 8 Unternehmen pleitegehen, und das ist doch entsetzlich, sehr geehrte Frau Stadtrat! Wir benötigen, wie von unserem Stadtrat DDr. Schock schon angeregt, eine neue Wirtschaftspolitik für die Wiener Wirtschaft. Er hat hier Vorschläge gemacht:
1. Ein Haftungspaket der Wirtschaftsagentur Wien für Klein- und Mittelbetriebe. In Abstimmung mit dem Austria Wirtschaftsservice soll auch ein Garantieprogramm für Betriebsmittelkredite aufgelegt werden.
2. Schaffung eines Mittelstandfonds in der Wirtschaftsagentur, um Eigenkapital für Wiener Klein- und Mittelbetriebe zur Verfügung zu stellen.
3. Neue Wiener Start-up-Förderung und Errichtung eines großen Gründercampus in Wien.
4. Verdoppelung der Wiener Wirtschaftsförderung im Jahr 2018. Die Förderungsmittel für KMUs sind im Budget 2018 auf 80 Millionen EUR zu verdoppeln. Eine neue Industriepolitik, Standortmarketing und Betriebsflächenmanagement für mehr Betriebsansiedelungen im Rahmen der Wiener Industrieoffensive.
Aber was geschieht in Wien tatsächlich? Die Wirtschaftsförderung wird gekürzt, und den Unternehmen entstehen zusätzliche Kosten. Wie auch in den Vorjahren wurde die Wirtschaftsförderung gekürzt. Waren es im Jahr 2010 noch 117 Millionen EUR, so waren es 2016 nur noch 80 Millionen, 2017 nur noch 71 Millionen, und für 2018 wurden nur noch 66 Millionen EUR budgetiert.
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