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Gemeinderat, 29. Sitzung vom 20.11.2017, Wörtliches Protokoll  -  Seite 76 von 135

 

Um aber zu wissen, welcher Bedarf genau besteht und welche Maßnahmen am ehesten zum Ziel führen, nämlich Integration zu ermöglichen und gelingend zu gestalten, braucht es fundierte Grundlagen und empirische Forschung. Und damit wir eben nicht auf der Ebene von Hörensagen, nicht auf subjektiven Wahrnehmungen und Wünschen und abgeleitet vom eigenen Wissen und Wollen agieren, erarbeitet die Stadt Wien einen genauen Status quo, indem wir seit zehn Jahren analysieren und Daten zum Bereich Integration und Diversität, zum Ist-Stand und zu Entwicklungen beobachten und sammeln, was bedeutet, dass wir damit ein Instrument in der Hand haben, das Integration in Wien messbar macht.

 

Mit dem 4. Integrations- und Diversitätsmonitor lässt sich nicht nur ein Blick auf den eigentlichen Beobachtungszeitraum von 2013 bis 2016 werfen, sondern es ist tatsächlich eine Analyse der politischen, historischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten zehn Jahre möglich, nämlich des gesamten Beobachtungszeitraums der Integrationsmonitore. Dabei wird unter anderem das Bevölkerungswachstum Wiens als Stadt deutlich. Wien ist nicht immer schon gewachsen, Wien wächst erst seit 2005, und seit Beginn des Beobachtungszeitraums im Jahr 2007 sind es um 190.000 BürgerInnen mehr, und das ist ein Wachstum von 11 Prozent.

 

Dieses Wachstum bedeutet für uns als Stadt, dass unsere Angebote und Leistungen an eine wachsende Bevölkerung angepasst werden müssen. Die Veränderungen betreffen das gesamte Wirken der Stadt, angefangen mit den verschiedenen Sektoren des Bildungsbereichs, also Schulen und Kindergärten, ebenso wie den Arbeitsmarkt, den Wohnungsmarkt, die Verkehrsplanung oder die Nutzung des öffentlichen Raums.

 

35 Prozent der Wienerinnen und Wiener haben heute ihren Geburtsort im Ausland, und jede zweite Wienerin oder jeder zweite Wiener ist selbst oder in der Elterngeneration zugewandert. Das heißt, wir sprechen nicht über „die anderen“, wie Sie es gerne tun, wenn wir über Migration und Integration sprechen. Wir sprechen über die eigenen Menschen, über uns, über unser Wien und über das gelingende Zusammenleben aller Menschen in dieser Stadt.

 

Was bedeutet also Integration in diesem Sinn? In welche Richtung kann und soll überhaupt gemessen werden? Was sind die Unterschiede, die Gemeinsamkeiten und die Annäherung an eine Bevölkerung oder an den Teil der Bevölkerung ohne Migrationsbiographie? Wie steht es um die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung, um politische Teilhabe, um Anerkennung und um Nichtdiskriminierung?

 

Die Ergebnisse des Integrationsmonitors zeigen deutlich den Bedarf in den einzelnen Handlungsfeldern. Hier ist genauer hinzusehen und mit entsprechenden Maßnahmen zu steuern, aber doch in der Komplexität der Gesamtheit des Monitors und nicht einzelpunktuell herausgenommen für sich.

 

Ich möchte kurz auf einige besonders erwähnenswerte Daten eingehen. Volle rechtliche Gleichstellung gibt es tatsächlich erst mit der StaatsbürgerInnenschaft. Sie haben es erwähnt. Aber jede vierte Wienerin oder jeder vierte Wiener ist nicht österreichische Staatsbürgerin oder österreichischer Staatsbürger und damit vom Wahlrecht ausgeschlossen. Das ist seit dem letzten Monitor ein Anstieg um 3 Prozent und seit Beginn des Beobachtungszeitraums, also in den letzten 10 Jahren, sogar um 7 Prozent. Die Einbürgerungsquote betrug vor 10 Jahren noch 1,7 Prozent, mittlerweile beträgt sie nur noch 0,6 Prozent. Eine Einbürgerungsquote von 0,6 Prozent bedeutet, dass 6 Personen von 1.000 Menschen im Jahr 2016 eingebürgert wurden.

 

Das Einbürgerungsrecht, Sie haben es kurz umrissen, ist sozial selektiv. Das heißt, 21 Prozent der Drittstaatsangehörigen erfüllen nach 10 Jahren Aufenthalt die verschärften Einbürgerungsvoraussetzungen nicht. Das führt aber dazu, dass 27,5 Prozent der Wiener Bevölkerung nicht wahlberechtigt sind, und in einigen Bezirken liegt dieser Anteil sogar noch über dem Durchschnitt. Was sich prozentuell wie eine kleinere Veränderung liest, ist in manchen Bezirken schon ein Problem, wenn vier von zehn Menschen von den Wahlen ausgeschlossen sind. Sie haben damit keine Mitsprache darüber, was im eigenen Grätzel, in den Schulen, in welche die Kinder gehen, geschieht, was in dem Land entschieden wird, in dem sie aber oft seit vielen Jahren oder auch Jahrzehnten leben. (GR Dominik Nepp, MA: Sie sind eben keine Staatsbürger!) Dieser Ausschluss ist einer repräsentativen Demokratie nicht würdig. (GR Armin Blind: Sie wollen offensichtlich nicht Staatsbürger werden!)

 

Ich komme jetzt zu den verschiedenen Faktoren und Rahmenbedingungen, die das bedingen. Im Bereich der Bildung kann eine zunehmende Bildungspolarisierung beobachten werden. Einerseits gibt es neu Zugewanderte mit höchstens einem Pflichtschulabschluss, andererseits aber auch jene Gruppe mit Hochschulbildung, und in dieser Gruppe hat es in den letzten Jahren eine Zunahme gegeben. Gleichzeitig haben 30 Prozent der Wiener Bevölkerung ihren höchsten Bildungsabschluss im Ausland absolviert.

 

Das ist eine Tatsache, der wir uns stellen müssen und mit der wir uns auseinandersetzen müssen, denn was bedeutet das im Weiteren? - Höhere Bildung bedeutet für MigrantInnen nicht per se ein höheres Einkommen. Das gilt insbesondere für Frauen, die ihre Bildung in einem Drittstaat abgeschlossen haben. Ein Universitätsabschluss in einem Drittstaat hat tatsächlich in etwa den Wert eines Lehrabschlusses von WienerInnen ohne Migrationsbiographie. Das ist ein Teil der Problematik, und wir sehen daran, wie stark ineinander verzahnt die verschiedenen Unterscheidungskategorien sind und wie relevant es ist, all das gemeinsam zu betrachten.

 

56 Prozent der Beschäftigten mit Migrationsbiographie und mit höherer oder mit mittlerer Bildung und Abschlüssen aus Drittstaaten arbeiten in Hilfs- und in Anlerntätigkeiten. (GR Dominik Nepp, MA: Welche Abschlüsse haben sie denn? Atomphysik?) Das ist eine Dequalifizierung, die besonders bei Frauen in Teilzeitbeschäftigungen vorzufinden ist. Hier braucht es deutliche politische Lösungen.

 

Kommen wir zu den politischen Lösungen, denn dazu gehören auch die Maßnahmen, die wir als Stadt Wien

 

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