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Gemeinderat, 38. Sitzung vom 25.06.2018, Wörtliches Protokoll  -  Seite 130 von 149

 

Die Rolle der Allgemeinmedizin in der Notfallversorgung ist in Wien - die Hauptverantwortung liegt bei der Gebietskrankenkasse - krass unter der Beteiligung jener von anderen Ländern. Nehmen Sie Deutschland her, das ein ähnlich demographisches Bild wie Österreich aufweist, so haben Sie dort eine 60 zu 40- oder 50 zu 50-Verteilung von einer allgemeinmedizinischen Notfallversorgung zu einer intramuralen Spitalsnotfallversorgung. In Wien haben wir lediglich einen zwar gut arbeitenden Ärztefunkdienst, der aber keineswegs die Hälfte aller Notfälle umsetzen kann. Die Hauptverantwortung liegt in diesem Falle meiner Meinung nach nicht bei der Gemeinde Wien, sondern bei der Gebietskrankenkasse. Das ist auch ein Grund, warum man die Gebietskrankenkasse im Interesse der Patienten entmachten muss. Die Gebietskrankenkasse hat bei der Rolle der Allgemeinmediziner massiv versagt. Die Allgemeinmediziner wurden über Jahrzehnte in ihrer Bedeutung, in ihrer Bezahlung, in der Forderung ihrer Leistung beschädigt, und wir haben jetzt das negative Phänomen, dass niemand mehr Allgemeinmedizin machen will.

 

Und weil ich gerade bei der Wiener Gebietskrankenkasse bin, die ich - so nebenbei - anders sehe als die AUVA: Die Gebietskrankenkasse hat auch im Bereich der Polypharmazie absolut versagt. Man kann es nicht anders sagen. Ich mag zwar an sich nicht so plakative Ausdrücke, aber man kann nur sagen: komplett versagt. Polypharmazie bedeutet vor allem bei alten Herrschaften, dass mehr als fünf Medikamente am Tag gegeben werden. Es ist bekannt, dass die Nebenwirkungsrate sehr hoch ist, dass ein hoher Prozentsatz an Spitalsaufnahmen durch eine zu intensive oder zu lange Therapie entsteht. Die Gebietskrankenkasse hat an sich eigene Polypharmaziespezialisten, hat an sich die Pflicht, die Polypharmazie zu bekämpfen - man könnte zum Beispiel Polypharmazieambulanzen im Rahmen eines Konsiliardienstes machen -, hat das aber nicht gemacht.

 

Wir haben da schon eine sehr schiefe Optik, die vielleicht den meisten gar nicht bekannt ist, die Gebietskrankenkasse bezieht nämlich von der Pharmig regelmäßig Gelder. Ich beziehe mich jetzt auf eine Pressemeldung von 2016, der zufolge von der Pharmig, also von der Pharmaindustrie 125 Millionen EUR an die Sozialversicherung überwiesen wurden, die jetzt eine positive Gebarung von 48 Millionen EUR hatte. (GR Kurt Wagner: Aber Sie wissen, woher das kommt?) Herr Kollege, es ist eine schiefe … (GR Kurt Wagner: Das sind Einsparungsmaßnahmen auf Grund abhängiger … - Zwischenrufe bei der FPÖ.) Herr Kollege, auf den ersten Blick haben Sie recht, auf den zweiten Blick muss ich sagen, wir haben ja unsere Verbindungen und ich kenne einen früheren Chefarzt, der erzählt hat, wenn man energische Polypharmazievorträge und energische - ich wollte das eigentlich nicht sagen, aber Kollege Wagner zwingt mich dazu - Polypharmazieideen hatte, gab es einige Zeit später eine Überweisung von der Pharmig an die Krankenkasse und die Polypharmazie wurde wieder in die Schublade gegeben. Es ist eine schiefe Optik, auf der einen Seite als Krankenkasse eine Reduktion der Medikamente erwirken zu müssen und auf der anderen Seite Geld von der Pharmig anzunehmen. Das ist eine schiefe Optik, auch wenn Sie das anders sehen. (Beifall bei der FPÖ. - GR Kurt Wagner: Ich weiß zwar nicht, wie Sie das sehen, aber wir zahlen mehr an die Pharmaindustrie! - GR Ing. Udo Guggenbichler, MSc in Richtung GR Kurt Wagner: Herr Kollege, da müssen Sie einfach zuhören! - GR Kurt Wagner in Richtung GR Ing. Udo Guggenbichler, MSc: Ich höre eh zu!)

 

Vorsitzender GR Mag. Gerald Ebinger (unterbrechend): Bitte keine Zwiegespräche!

 

GR Dr. Günter Koderhold (fortsetzend): Okay, gut. Ich liebe an sich den Dialog und ich hoffe, ich habe mich halbwegs deutlich ausgedrückt. Wenn nicht, dann bitte ich um Verzeihung.

 

Ich erlaube mir, jetzt einen Sprung zu anderen Bereichen der Gesundheitsversorgung zu machen, die wir in dieser großen, schnell wachsenden Stadt - Wien ist die am schnellsten wachsende Millionenstadt Europas - auch brauchen. Wir haben viel zu wenig Gesundheitserziehung. Wir haben eine Gesundheitserziehung, die sich auf einen gewissen Bereich konzentriert, das ist die Psychologie, das ist etwas Gutes, das ist die Sexualberatung, das ist auch etwas Gutes. Es ist aber nicht ausreichend. Oft hat man so banale Sachen wie eine Wundversorgung, Verkühlung, Schmerztherapie, und so weiter, das gehört eigentlich zur allgemeinen Gesundheitserziehung.

 

Ich habe mir wirklich die Arbeit gemacht, alle NGOs und Vereine durchzuchecken, man findet dort durchaus respektable Angebote an Psychologie und Sexualberatung. Ich will gar nichts dagegen sagen, nur hat man den Eindruck, dass wir eine gewisse ideologische Kanalisierung haben, die an sich einer breitbandigen Gesundheitserziehung … (GR Kurt Wagner: Wer sagt Ihnen das?) - Ich habe das durchgesehen, Herr Kollege, ich habe mir die Mühe gemacht.

 

Vorsitzender GR Mag. Gerald Ebinger (unterbrechend): Trotz der späten Stunde, Herr Kollege Wagner, bitte keine Zwiegespräche!

 

GR Dr. Günter Koderhold (fortsetzend): Herr Kollege Wagner, da ich Sie sehr schätze, können wir uns dann kurz zusammensetzen und ich kann Ihnen gerne meine Unterlagen zeigen. (GR Kurt Wagner: Das würde mich interessieren, wo Sie Ihre Informationen her haben! Ich habe andere!) - Ich schaue mir das an, ich verlasse mich nicht auf andere, ich mache das selber.

 

Wir haben jetzt vielleicht ein bisschen zu viel von Ärzten geredet, aber die Berufsgruppe, die eindeutig am meisten leidet, und das möchte ich dem Herrn Stadtrat ans Herz legen, ist das Pflegepersonal. Wir haben da eine sehr lange Arbeitszeit. Sieht man bei den Regierungsparteien in Wien, wie gern der Heiligenschein bei der 12-Stunden-Arbeitszeit aufgesetzt wird, dann fragt man sich, warum das nicht beim Spitalspersonal, beim Pflegepersonal so ist. Da gibt es einen Durchrechnungszeitraum, Herr Stadtrat, von einem halben Jahr. Macht beispielsweise eine Diplomschwester Dienste und es werden im Rahmen der Grippewelle einige Kollegen krank, dann muss sie natürlich die Dienste ersetzen und hat eine Wochenstundenanzahl von locker 60 Stunden

 

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