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Gemeinderat, 2. Sitzung vom 11.12.2020, Wörtliches Protokoll  -  Seite 8 von 101

 

maßen abgesichert sind, die Freischaffenden aber natürlich von Hilfsfonds abhängig sind. Und viele von denen leben in Wien, wie Sie wissen.

 

Es besteht das Risiko einer Zweiklassengesellschaft in vielen kulturellen Bereichen durch die unterschiedlichen Zugänge der Absicherung zwischen den staatsnahen Betrieben und der freien Szene einerseits, aber auch durch die heterogenen Bedingungen immer wieder zwischendurch. Es herrscht große Ungleichheit.

 

Um diesen Herausforderungen durch Corona zu begegnen, bietet der Bund Maßnahmen für Einzelpersonen im Bereich von Kultur und Wissenschaft an, nämlich den Überbrückungsfinanzierungsfonds für selbstständige KünstlerInnen, den Härtefallfonds, den einmaligen Lockdown-Bonus für freischaffende KünstlerInnen und den Covid-Fonds des Künstlersozialversicherungsfonds.

 

Auf Grund der großen Bandbreite der unterschiedlichen Arbeits- und Lebenssituationen können diese Maßnahmen jedoch nicht für alle prekären Situationen gut verwendet werden. Manche KünstlerInnen werden davon nicht aufgefangen. Genau deshalb haben wir ja im Frühjahr die zusätzlichen Arbeitsstipendien eingeführt. Diese Arbeitsstipendien wurden eingerichtet, um die Menschen, die in prekären Arbeitssituationen leben und jetzt mit Unsicherheit und Ängsten und finanziellen Engpässen zu kämpfen haben, besonders zu schützen. Das haben Sie, liebe Frau Stadträtin, im Sommer öffentlich gesagt. Weiter haben Sie ausgeführt, dass das ein Schritt sei, die Künstlerinnen und Künstler in die Lage zu versetzen, ihre Arbeit fortführen zu können und so die nächsten Wochen und Monate bestreiten zu können.

 

Leider hat sich die Situation bisher kaum gebessert. Der zweite Lockdown war eine größere Herausforderung. Es wird weiterhin Geld benötigt, um Überbrückung zu schaffen, bis die Kulturbetriebe wieder aufsperren können und bis die Leute, die es gewohnt sind, mit Kreativität und Eigenengagement ihren Lebensunterhalt zu verdienen, das auch wieder tun können. - Um diese schwere Zeit zu überbrücken, stelle ich mit meinen KollegInnen hiermit den Antrag, für das kommende halbe Jahr 3.000 weitere Arbeitsstipendien einzurichten.

 

Diese Stipendien werden nicht alle Strukturschwächen in der Kulturförderung bereinigen, aber sie sind ein Anfang, das wissen wir alle. Sie sind ein solidarischer Anfang, womit das künstlerische Schaffen im Hintergrund und das einfache Überleben ermöglicht werden sollen. Längerfristig aber werden wir in der Kulturpolitik an vielen Stellen neu denken müssen. Wenn Besucherstudien immer wieder nachweisen, dass die genannten Kulturförderprogramme vorzugsweise von hochgebildeten Besuchenden konsumiert werden, dann brauchen wir neue Strategien der Publikumseinbindung.

 

Wir müssen junge Menschen aus allen Schichten an Kunst und Kultur als attraktiven Ort der Auseinandersetzung und Gestaltung heranführen. Es geht um die Jungen. Es geht um einen Ort, an dem auch die Jungen ihre Ideen, ihre Wünsche und ihre Probleme verhandelt finden, zum Beispiel mit einem neu aufgesetzten Kinder- und Jugendprogramm, das Beteiligung ermöglicht und keiner strengen Spartentrennung folgt. Wir können das insbesondere durch mehr Förderprogramme an Schulen und Kindergärten tun, die es auch Kindern aus einkommensschwachen Familien ermöglichen, daran teilzunehmen. Diese Programme können Teil des normalen Lehrplans sein, vielleicht können aber auch KünstlerInnen einfach in die Schulen kommen und gemeinsam mit den Kindern sogenannte Kulturprogramme entwickeln oder Produktionen erarbeiten. Ich weiß, dass es schon vereinzelt solche Workshops gibt.

 

Das Ziel muss es sein, dass ein Kind, das in Wien aufwächst, beziehungsweise dass alle Kinder in Wien auch Lust auf Kulturgenuss bekommen. Wien sieht sich selbst als Kulturmetropole, und das muss auch für unsere Kinder gelten, und ich denke, das sollte auch in Zukunft so weitergehen.

 

Ein Anfang in diese Richtung ist gemacht, zum Beispiel mit dem von den Grünen initiierten KulturKatapult für ältere Kinder und Jugendliche oder mit partizipativen Vermittlungsprogrammen im Kinder- und Jugendtheater, wie sie im Dschungel stattfinden. Die Beispiele zeigen, was alles möglich ist.

 

Vorsitzender GR Mag. Thomas Reindl (unterbrechend): Kollegin! Deine Redezeit beträgt bereits 14 Minuten. Ihr habt eh eine Fraktionsredezeit, ich möchte nur darauf hinweisen.

 

GRin Mag. Ursula Berner, MA (fortsetzend): Ich bin gleich fertig. Danke schön. Ich brauche nur noch kurz.

 

Wir sind es den Kindern schuldig, dass auch sie Teil der Kulturhauptstadt werden.

 

Was brauchen wir noch? - Als moderne Kulturstadt sollten wir auch in der Kulturförderung und vor allem auch bei der Neubesetzung von Institutionen und Festivals auf mehr Diversität achten. Mit „Kültür Gemma“ oder auch Orten wie der Brunnenpassage sind erste spezifische Programme geschaffen. Es sind dies Orte, die unterschiedliche Begegnungen zulassen. Es braucht aber mehr davon, wenn wir den Anforderungen einer modernen Stadt im 21. Jahrhundert gerecht werden wollen.

 

50 Prozent Frauen leben heute in Wien, außerdem 50 Prozent Menschen, die mit einer zweiten oder einer anderen Sprache aufgewachsen sind. Ziel muss es sein, dass auch der Kulturbetrieb all diese Menschen und damit die tatsächlichen Verhältnisse in Wien repräsentiert, am besten ausgewählt von Jurys in transparenten Verfahren. Die Vielstimmigkeit, die unterschiedlichen Blickwinkel, die sich hier treffen, Wien als Schmelztiegel, all das waren lange Zeit Markenzeichen von Wien. Das soll auch im Kulturbetrieb so weitergehen. Dafür braucht es allerdings ein paar mutige Entscheidungen. Es reicht nicht mehr, nur ein diversitätssensibles Programm vorzuführen. Wir müssen Institutionen selbst motivieren, sich darauf vorzubereiten, diejenigen am Apparat zu beteiligen, die in Zukunft noch dazukommen werden und auch dazukommen wollen. „Kunst wird erst dann interessant, wenn wir vor irgendetwas stehen, das wir uns nicht gleich restlos erklären können.“ Das hat Christoph Schlingensief schon vorhergesagt.

 

Eine vielstimmige Kulturhauptstadt Wien braucht eine langfristige Kulturstrategie, die alte Denkmuster und

 

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