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Gemeinderat, 17. Sitzung vom 20.12.2021, Wörtliches Protokoll  -  Seite 16 von 137

 

muss mich dem auch stellen. Ich werde vielleicht später auch noch einmal ausführen können, was wir alles tun: Wir hören zu. Ich habe alle unterschiedlichsten Gruppierungen auch geladen, und ich rede auch mit der jüdischen Hochschülerschaft, die ein ganz großes, vehementes Interesse hat, gerade vor dem Hintergrund eines steigenden Antisemitismus. Ich muss wahrnehmen und zur Kenntnis nehmen, dass es so ist. Musil hat wunderbar beschrieben: Normalerweise schlafen Denkmäler im Stadtraum. - Das ist ein wunderbarer Text. Sie tauchen sozusagen ein in die Stadtmöblierung der Stadt, aber dieses Denkmal wurde in unterschiedlichen Phasen immer wieder wachgeküsst - und das hat einen Grund, und mit diesem müssen wir uns auseinandersetzen. Sich wegzuducken, das geht gar nicht, das kann ich mir nicht erlauben. Das heißt, ich muss damit umgehen, aktiv, proaktiv umgehen, und das beginnt mit vielen, vielen Gesprächen in dieser Sache. - Das ist das eine.

 

Das andere ist: Kritische Sichtweise auf die eigene Geschichte ist absolut wichtig, und wir merken ja auch, unser Verhältnis zur Geschichte Österreichs verändert sich auch mit einer gewissen Distanz zu den Geschehnissen. Und wir müssen natürlich überhaupt reflektieren, was den Antisemitismus betrifft - und deswegen werde ich eben auch hier klare Schritte gehen, auch mit Experten und Expertinnen -: Es gibt natürlich den Antisemitismus der Zeit von Lueger. Man darf nicht vergessen, auch Theodor Herzl hat von „Börsenjuden“ gesprochen! Das war damals sozusagen in der Gesellschaft eine Sprache, die wir völlig zu Recht angewidert zurückweisen würden, das gab es aber in der gesamten Gesellschaft. Die Frage ist nur - und dazu brauche ich Historiker, um das benennen zu können oder um mir ein neues Bild zu geben -: Was macht den Unterschied? Was macht den Unterschied zwischen einem Antisemitismus, den wir jetzt verdammen, der aber zu der damaligen Zeit salonfähig war? Man kann das auch in der Kafka-Biographie von Reiner Stach lesen: Da sieht man auch, wie selbst assimilierte Juden rassistische Stereotype gegenüber Ostjuden befördert haben. Also die Geschichte ist sehr vielfältig, oszillierend, aber wir müssen an sie sachlich, ohne große Emotionen herangehen. Es ist ganz klar, ich glaube, jeder hier in diesem Raum hat ein klares Verhältnis in Fragen des Antisemitismus, ich glaube, darüber - so hoffe ich - muss ich nicht mehr diskutieren. Vielleicht dann doch in diesen Zeiten? - Wir haben eine Haltung, aber es geht jetzt wirklich darum, uns auch sachlich und mit Historikern wissenschaftsbasiert dieses Themas anzunehmen, auch die Unterschiede herauszuarbeiten und dann die Konsequenzen zu ziehen. Das ist ganz klar.

 

Klar ist auch die Frage der Zusatztafeln, deswegen habe ich ja auch eine große Initiative gestartet, dass wir jetzt sämtliche belastete oder von Historikern als belastet eingestufte Namen insofern kontextualisieren, als wir sie mit Zusatztafeln versehen. Das ist die Kontextualisierung, es gibt sie ja in unterschiedlichen Graden. Wir werden jetzt aber nicht überall eine künstlerische Überformung machen können. Das ist weder im Sinne der Steuerzahler noch im Sinne meines Ressorts. Wir müssen uns einfach genau ansehen, wo sich wirklich so viel ergibt, dass es einen Konfliktpunkt in der Gesellschaft darstellt.

 

Vorsitzender GR Mag. Thomas Reindl: Die 2. Zusatzfrage kommt von der SPÖ. Frau GRin Bozatemur, bitte.

 

10.00.51

GRin Aslihan Bozatemur (SPÖ): Sehr geehrte Frau Stadträtin!

 

Die öffentliche Diskussion zu belastenden Denkmälern ist emotional sehr hochgeladen. Was konnten Sie zur Versachlichung dieser Situation beitragen beziehungsweise was planen Sie?

 

Vorsitzender GR Mag. Thomas Reindl: Frau Stadträtin.

 

Amtsf. StRin Mag. Veronica Kaup-Hasler: Danke für die Frage. Wir spüren ja in der gesamten Gesellschaft diese Polarisierungen und auch die Dünnhäutigkeit, die damit einhergeht. Ich finde, gerade in diesen Zeiten müssen wir schauen, dass wir einander zuhören, dass wir Menschen in einem Raum versammeln. Deswegen habe ich von Anfang an gesagt - es war ja im Sommer 2020, als diese großen Demonstrationen und Gegendemonstrationen, Identitäre gegen Studierende, dort passiert sind -, ich muss zuerst einmal die Menschen abholen, und ich möchte es anders machen, als es 2009 gemacht wurde.

 

2009 gab es einen Wettbewerb der Akademie, der aber akademieintern war und auch geblieben ist, der nicht von Anfang an auch die Stakeholder mit einbezogen hat. Die Stakeholder sind unterschiedliche MAs, Denkmalamt, der Bezirk, das sind alles wichtige Faktoren. Wir können nicht von partizipativen Kunstwerken oder partizipativen Momenten in der Kulturpolitik sprechen, wenn wir in diesem Punkt eine etatistische josephinische Geste haben wollen, eine Umbenennung sofort und ohne Menschen, die man dazu befragt.

 

Ich glaube, das ist falsch, deshalb habe ich einen Runden Tisch gemacht. Ich habe daraus jetzt nicht eine Werbekampagne gemacht, und manchmal denke ich mir, vielleicht war das falsch. Wir haben einen Raum gesucht, in dem 50 Menschen miteinander 3 Stunden lang dieses Thema besprechen. Da waren Positionen von einer großen Fraktion von Menschen, die das unbedingt abschaffen wollten, bis hin zu dem Historiker Schausberger, der sozusagen für andere Haltungen steht, der eher das Bewahrende im Blick hat. Es war Bezirksvorsteher Figl dabei, es sind Historikerinnen und Historiker drinnen. Und das Tolle war, ich habe sie aus ihren jeweiligen Blasen rausgelöst, aus ihren jeweiligen Medienzusammenhängen, in denen sie sonst twittern oder facebooken, womit sie immer nur die gleichen Leute erreichen. Ich wollte in schwierigen Zeiten einmal diesen analogen Moment haben, wo man einander drei Stunden lang zuhört, die Argumente austauscht und einfach einmal drei Stunden lang über ein Thema nachdenkt.

 

Wir sind natürlich nicht zu einer Entscheidung gekommen, aber das Tolle an diesem Ergebnis war, es war völlig klar, es muss mehr geschehen, als bis jetzt beim

 

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