«  1  »

 

Gemeinderat, 17. Sitzung vom 20.12.2021, Wörtliches Protokoll  -  Seite 113 von 137

 

und stigmatisierenden Vorurteile, wenn es um Arbeitslosigkeit geht. Das ist mir wirklich als ehemalige Beschäftigte beim AMS sehr, sehr wichtig. Arbeitslosigkeit wird als individuelles Problem verkauft oder es wird dargestellt, durch Selbstverschulden hätte man sich doch in diese Situation gebracht. Ich möchte kurz die Zeit nutzen, um zu erklären, warum das aus mehrfacher Hinsicht einfach falsch ist.

 

Erstens: Es gibt wesentlich mehr Arbeitskräfte als Arbeitsplätze, es ist eine einfache mathematische Rechnung. Wie viele Arbeitsplätze es gibt, hängt von politischen Rahmenbedingungen ab, hängt von wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ab, und vor allem, ob die Politik in den freien Markt regulierend eingreift oder eben nicht. Die Schaffung von Arbeitsplätzen ist daher deswegen wichtig, weil eben dieses System des freien Markts hier versagt. Hier müssen wir eingreifen. Es ist quasi wirklich eine logische Konsequenz in diesem System.

 

Zweitens: Wenn wir schon von Systemfehlern sprechen, wissen wir, dass es einen Zusammenhang zwischen Bildungsgrad und der Gefahr von Armut und Armutsgefährdung und Arbeitslosigkeit gibt, weil prinzipiell gilt: Je niedriger der Bildungsgrad, desto höher ist die Gefahr, arbeitslos zu werden. Im November 2021 waren zum Beispiel in Wien zirka 100.000 Menschen arbeitslos gemeldet, und fast 50 Prozent dieser Menschen hatten eigentlich nur bis zu maximal Pflichtschulabschluss. Das bedeutet, dass auch Leute dabei waren, die eben keinen Pflichtschulabschluss haben. Wir sehen, dass in kaum einem Land in Europa die Bildung so vererbt wird wie in Österreich, im Übrigen wird nicht nur die Bildung, sondern auch die Armut weitervererbt. Wie schwer es ist, sich aus diesem System von selbst rauszuholen, kann man sich kaum vorstellen. An dieser Stelle möchte ich auch noch einmal dafür plädieren, dass möglichst viele Menschen die Arbeit von Barbara Blaha und das „Moment“-Magazin verfolgen, weil sie immer wieder sehr stark darauf hinweist, wie es für armutsbetroffene Menschen in Österreich ist.

 

Drittens: Der Arbeitsmarkt ist nicht von Diskriminierungsebenen losgelöst. Soziodemographische Faktoren wie Alter, Geschlecht, Herkunft und ökonomischer Hintergrund führen am neoliberalen Arbeitsmarkt natürlich zu Ausgrenzung. Gerade Ältere, Jüngere, Frauen, Menschen mit Migrationsgeschichte und vulnerable Gruppen sind besonders davon betroffen.

 

Arbeitslosigkeit ist daher also kein individuelles Versagen, sondern in mehrfacher Hinsicht ein Systemfehler, und deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, braucht es die geförderte Beschäftigung.

 

Spätestens durch die Krise haben wir gesehen, dass das Problem eben kein Problem der an den Rand Gedrängten mehr ist, sondern ein Problem der Mitte. Gerade erst vor Kurzem hat mir eine Freundin erzählt, dass sie 2020 wirklich selbst zum ersten Mal arbeitslos wurde. Es war für sie unvorstellbar, wie sich das anfühlt, weil sie davor tatsächlich noch nie arbeitslos war. Das heißt, es sind in der Krise auch Menschen arbeitslos geworden oder in den Mindestsicherungsbezug reingefallen, die es zuvor nicht waren, und deswegen sind eben genau solche Beschäftigungsinitiativen wichtig.

 

Deswegen möchte ich gleich zu unserem Antrag beziehungsweise zum Thema überleiten, das eigentlich gut dazu passt, nämlich zur Armutsbekämpfung, denn Menschen haben gerade nicht nur mit Arbeitslosigkeit zu kämpfen, sondern auch mit gestiegenen Energiekosten. Sie sind von Armut betroffen und müssen gleichzeitig die höheren Energiekosten stemmen. Nicht nur MindestsicherungsbezieherInnen und Arbeitslose sind armutsgefährdet, sondern mehr als 390.000 Wienerinnen und Wiener. Als armutsgefährdet gilt, wer ein Einkommen von unter 60 Prozent des Medianeinkommens erhält. 2020 entspricht das österreichische Medianeinkommen zirka 27.000 EUR im Jahr, und die Armutsgefährdungsschwelle liegt daher bei 16.000 EUR im Jahr oder rund 1.300 EUR im Monat. Das betrifft, wie gesagt, fast 400.000 Menschen in Wien. Das ist keine kleine Zahl, das ist eigentlich alarmierend, denn das ist ein Fünftel der in Wien lebenden Personen. Wien liegt damit wirklich sehr stark über dem Österreich-weiten Durchschnitt von 14 Prozent.

 

Was heißt Energiearmut? - Eine Studie der E-Control und der Statistik Austria aus dem Jahr 2019 - hier wurden übrigens die Zahlen von 2018 herangezogen, also vor der Krise - zeigt, dass rund 94.000 Haushalte beziehungsweise 2,4 Prozent aller Haushalte in Österreich es sich nicht leisten können, die Wohnung angemessen warm zu halten. Das muss man sich einmal vorstellen. Das klingt wenig, aber es ist trotzdem viel zu viel für so ein reiches Land wie Österreich.

 

Auch dieser Zusammenhang zeigt eigentlich gut, dass Soziales und Klima nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen, sondern zusammen gedacht werden müssen, denn gerade arme Menschen trifft die Energie- und Klimakrise besonders hart.

 

Was es aus unserer Sicht daher braucht, ist: Die Stadt Wien muss sich endlich rasch und vollständig von den fossilen Energieträgern im Gebäudesektor verabschieden, denn die Kosten für diese klimaschädlichen und unsozialen Energieträger steigen und werden in den kommenden Jahren auch nicht niedriger werden. Die MieterInnen bleiben diesen Steigerungskosten schutzlos ausgesetzt. Es braucht endlich mehr Engagement im Bereich der Transformation zu einem erneuerbaren Energieversorgungssystem, vor allem - und das ist ganz wichtig - im eigenen Wirkungsbereich der Stadt Wien, bei Wiener Wohnen.

 

Kurzfristige Geldleistungen - das wissen wir von anderen kurzfristigen Geldleistungen -, die steigende Energiekosten abfedern, können nie mehr als Symptombekämpfung sein. Sie sind als Übergangsinstrument wichtig, um akute Energiearmut zu verhindern, aber sie sind gleichzeitig Ausdruck eines Versagens der Politik, rechtzeitig für eine Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern Sorge zu tragen.

 

Deswegen wurde unter anderem bei Rot-Grün, vor allen Dingen auf grüne Initiative, die Wiener Energieunterstützung eingeführt, also ein modernes Instrument der

 

«  1  »

Verantwortlich für diese Seite:
Stadt Wien | Geschäftsstelle Landtag, Gemeinderat, Landesregierung und Stadtsenat (Magistratsdirektion)
Kontaktformular