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Gemeinderat, 54. Sitzung vom 22.05.2024, Wörtliches Protokoll  -  Seite 61 von 109

 

des Nahostkonfliktes bekam ich erst durch persönliche Kontakte. Kollege Peter Florianschütz war selbst dabei, als ich im Zuge einer Podiumsdiskussion - ich glaube, es war 2012 - angesprochen wurde, ob ich nicht die Österreichischen Kulturtage in Tel Aviv unterstützen möchte. Ich habe damals gerne zugesagt, und in diesem Zusammenhang reiste ich damals erstmalig ins Heilige Land. Viele weitere Reisen sollten folgen, und ich durfte ganz viele tolle Menschen kennen lernen.

 

Ich begann sozusagen automatisch, mich intensiver mit der jüdischen Geschichte zu befassen, insbesondere auch mit der jüdischen Geschichte hier bei uns in Wien und mit dem schon viele Jahrhunderte alten Antisemitismus und der Geschichte dieses Antisemitismus. Ich kann Ihnen dazu nur ehrlichen Herzens eine mehrteilige Dokumentation auf „Arte“ empfehlen. Diese ist dort in der Mediathek noch abrufbar, und es wird in dieser Doku sehr vieles dessen erklärt, womit wir uns heute leider konfrontiert sehen.

 

Das Abstrakte hat jedenfalls durch diese persönlichen Bekanntschaften für mich ein Gesicht bekommen. Ich habe die Ängste und Sorgen plötzlich wesentlich besser nachvollziehen können. Der Antisemitismus war plötzlich allerdings auch real, ein reales Unding, wie ich das jetzt bezeichnen möchte. Und wir erleben leider ganz aktuell - die Geschehnisse überschlagen sich ja im wahrsten Sinne des Wortes -, dass dieses abstrakte Problem ein ganz reales und ein ganz bedrohliches geworden ist.

 

Auch der aktuelle Verfassungsschutzbericht, den Innenminister Karner vor wenigen Tagen vorgestellt hat, ist diesbezüglich mehr als besorgniserregend, zeigt er doch, dass neben dem klassischen rechtsextremen Antisemitismus auch der islamische und linksextremistische Antisemitismus wieder häufiger und lauter in Erscheinung treten. Im Hinblick darauf hoffe ich daher, meine Damen und Herren, dass wir uns im Zuge dieser Diskussion wirklich ganz schnell darauf einigen können, dass wir hier nicht verschiedene Fälle gegeneinander aufrechnen sollten, sondern dass wir alle drei Formen des Antisemitismus massivst und von ganzem Herzen ablehnen. (Beifall bei ÖVP und NEOS.)

 

Wir müssen dem alten ebenso wie dem neuen Antisemitismus entgegentreten. Wir befinden uns gerade anlässlich der Europa-Wahl in einem Wahlkampf, der auch von ganz anderen Themen überschattet ist. Doch auch diese Thematik berührt derzeit ganz Europa, auf Grund einer leider Gottes unsäglichen Entscheidung von drei europäischen Ländern wird dem Thema allerdings nicht der Platz auf europäischer Ebene und auf nationaler Ebene eingeräumt, den es eigentlich haben sollte.

 

Ehrlich gesagt, ist mir die Behandlung dieser Dringlichen Anfrage heute sehr wichtig, denn auch wir hier in unserer Stadt haben gefälligst unsere Hausaufgaben in dieser Hinsicht zu tun. Welche Hausaufgaben meine ich, die wir in Wien zu tun haben? Am 7. Oktober des vergangenen Jahres erfolgte mit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel, wie wir wissen, das schlimmste Massaker an Juden seit der Kapitulation der Nazis im Frühjahr 1945. 1.400 Menschen - Zivilisten - wurden brutal ermordet, massakriert, vergewaltigt, geköpft, Säuglinge wurden in den Backofen geschoben, und vieles mehr geschah im Oktober des Jahres 2023. In Europa wurde das vielerorts gefeiert, auch in Wien bei einer Demo auf dem Ballhausplatz, lange bevor israelische Streitkräfte den Gazastreifen auch nur betreten hatten, meine Damen und Herren! Und in einer nie da gewesenen Umkehrung der Realität wird mittlerweile nicht die Hamas, die nachweislich den Staat Israel auslöschen möchte, des Genozids beschuldigt, sondern Israel, die einzige funktionierende Demokratie im ganzen Gebiet des Nahen Ostens. Gleichzeitig wird Israel von Unverbesserlichen nach wie vor auch als Apartheidstaat tituliert, obwohl Israel der einzige Staat in dieser Region ist, in dem Juden, Christen und Muslime friedlich zusammenleben. Oft wird vergessen: 17 Prozent der israelischen Staatsbürger sind Muslime und leben gut und friedlich in diesem Land.

 

Wenn man diese Debatten aktuell führt, dann wird man mitunter mit dem Argument konfrontiert, dass man seine Israel-feindlichen Aussagen nie und niemals antisemitisch meint - nein -, sondern beispielsweise nur die böse Regierung Israels im gegenwärtigen Fall kritisiert. Dann heißt es, dass Kritik an der Politik Israels doch zulässig sein müsse. - Selbstverständlich ist sie das!

 

Überlegen wir uns aber einmal: Was genau ist Antisemitismus? Ich habe einiges dazu gelesen, und ich empfehle für die Beantwortung der Frage, ob etwas legitime Kritik am Staat Israel oder doch mehr oder minder versteckter Antisemitismus ist, einen ganz einfachen Test, nämlich den 3-D-Test des ehemaligen israelischen Ministers Nathan Scharanski. Bei diesem 3-D-Test geht es um drei Kriterien: Wenn Aussagen Israel dämonisieren, delegitimieren oder doppelte Standards anlegen, dann kann man guten Glaubens davon ausgehen, dass es sich dabei um Antisemitismus handelt. Dämonisieren ist, glaube ich, leicht erklärt, meine Damen und Herren. Die Bezeichnung der Juden als Gottesmörder war früher ein oft verwendetes Stilmittel. Mittlerweile zielt das Agitieren der BDS-Bewegung wohl genau auf diese Dämonisierung ab. Die Anwendung von doppelten Standards ist, glaube ich, auch leicht erklärt, wenn man sich die Verurteilungen Israels im Sicherheitsrat oder in anderen internationalen Bereichen ansieht und feststellt, wie andere wirkliche Schurkenstaaten wie beispielsweise Nordkorea in diesem Zusammenhang nicht thematisiert werden. Und schließlich ist die Delegitimierung wahrscheinlich das einfachste Mittel, das Existenzrecht Israels generell in Frage zu stellen oder abzulehnen.

 

Damit kommen wir nun zu dem oft skandierten Spruch „From the River to the Sea“, den man dieser Tage hier und anderswo immer wieder auf Demos hört und liest. Und interessanterweise haben Umfragen an den amerikanischen Eliteuniversitäten, etwa an der Harvard University oder an der Columbia University, unter antiisraelischen Studenten, die so gerne diesen Slogan „From the River to the Sea“ anstimmen, gezeigt, dass viele dieser Studenten gar nicht wissen, welcher River und welche Sea denn eigentlich gemeint sind. Es handelt sich um den Jordan und das Mittelmeer. Und würde man das realisieren, dann würde Israel aufhören zu existieren. Verwundern kann das nicht, wenn man bedenkt, dass sich beispielsweise

 

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