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Gemeinderat, 54. Sitzung vom 22.05.2024, Wörtliches Protokoll  -  Seite 62 von 109

 

die ehemalige Harvard-Präsidentin Claudine Gay bei ihrer Anhörung vor dem US-Kongress geweigert hat, einen an ihrer Uni getätigten Aufruf zum Völkermord an Juden klar zu verurteilen. Und zeitgleich sprechen österreichische Historiker auf Social Media von einer rechten Kampagne, welche Frau Gay zum Rücktritt gezwungen hätte.

 

Meine Damen und Herren! All das sind die vielen kleinen Mosaiksteinchen, die ich meine, womit bewirkt wird, dass der Antisemitismus quasi durch die Hintertür in unserer Gesellschaft wieder salonfähig wird. Und durch Pro-Palästina-Camps, wie sie so schön genannt werden, wurden jüdische Kommilitonen in den USA daran gehindert, den Uni-Campus zu betreten, gleichzeitig wurde ein Fotografier- und Alkoholverbot ebenso erlassen wie ein Verbot, mit Zionisten zu reden.

 

Ich kann dazu nur sagen: Ich bin dem Herrn Innenminister und Ihnen, Herr Bürgermeister - denn ich gehe davon aus, dass Sie mit eingebunden waren -, sowie allen, die dazu beigetragen haben, dass das Camp im Alten AKH rasch geräumt wurde, sehr, sehr dankbar! (Beifall bei der ÖVP.)

 

Diese Vorkommnisse an den Universitäten, wurscht, ob sie in den USA oder in Wien stattfinden, zeigen übrigens wieder einmal erschreckend, dass Bildung und Moral -mit akademischem Titel oder ohne akademischen Titel - nicht zwingend eine Einheit bilden müssen. Manchmal ist sogar das Gegenteil möglich. Der große Antisemitismus gerade in Kultur und Wissenschaft ist eine erschreckende Realität. Die Kolleginnen, die nach mir sprechen, werden darauf noch detaillierter eingehen, und ich freue mich, dass auch Sie, Frau Stadträtin, jetzt zugegen sind.

 

Um nicht missverstanden zu werden: Ich bin nahezu ein politischer Extremist - wobei ich die Wortwahl politischer Extremist jetzt ganz bewusst treffe -, was die individuelle Freiheit des Einzelnen betrifft. Für mich ist die Meinungsfreiheit die wichtigste Säule der Demokratie, ganz nach dem Motto „Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass du es sagen darfst.“ Ob das wirklich von Voltaire stammt oder ihm nur zugeschrieben wird, ist wurscht, jedenfalls ist das aber ein ganz wichtiger Leitsatz.

 

Herr Bürgermeister! Da schließt sich nun der Kreis der Fragen an Sie. Müssen wir wirklich im Zuge eines Kultur-Festivals eindeutig nicht Kulturschaffenden, sondern politischen Radikalinskis, die anderorts Einreiseverbot haben, und Antisemiten um Steuergelder eine politische Bühne bieten? Hat die Kulturstadt Wien, Herr Bürgermeister, es wirklich notwendig, in ihrem größten Festival solche Aktivitäten aufzuführen, dass der Ehrenpräsident unserer Kultusgemeinde davon spricht, dass er, wenn er 30 Jahre jünger wäre, hingehen und Eier werfen würde?! (Bgm Dr. Michael Ludwig: Das verteidigen Sie jetzt aber nicht, oder?) Ist das das Kulturfestival, das wir uns vorstellen? Sollte das einen derartigen Anklang in der jüdischen Gemeinde unserer Heimatstadt finden? Finden Sie das in Ordnung? Muss die Stadt nicht auch - und da sind wir schon beim nächsten Thema - ihre derzeit gelebte Integrationspolitik dahin gehend adaptieren, dass es nicht mehr geschieht, dass zynische Freudenfeiern anlässlich des 7. Oktober hunderte Menschen auf die Straßen treiben, werter Herr Bürgermeister? Und ist es wirklich so, dass wir dem Antisemitismus von Personen des öffentlichen Lebens von vor 100 Jahren mehr Raum in der Debatte einräumen als dem Antisemitismus im Kulturleben des Jahres 2024, Herr Bürgermeister? (Beifall bei der ÖVP. - Bgm Dr. Michael Ludwig: Das ist nicht Ihr Ernst?!)

 

Ich denke, dass die politische Laissez-faire-Haltung gegenüber Judenhass sich schon einmal als eine dramatische Fehleinschätzung erwiesen hat. Wir sollten eher darüber nachdenken, wie wir dem demokratischen Staat Israel unsere Solidarität bestmöglich ausdrücken und wie wir diesen auch aktiv dabei unterstützen können, das Richtige zu tun, die Geiseln zu befreien und die Hamas zu besiegen.

 

Meine Damen und Herren! Etwas muss uns nämlich klar sein: Israel ist nicht nur die einzige lupenreine liberale Demokratie in der Region, sondern Israel lebt Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Freiheit der Kunst und Kultur. Israel lebt das, was ein früherer sozialdemokratischer Bundeskanzler wohl als „solidarische Hochleistungsgesellschaft“ bezeichnet hätte! Israel steht wie wenige andere Länder für all das, was den aufgeklärten, liberalen, marktwirtschaftlichen Westen ausmacht.

 

Im Hinblick darauf möchte ich Sie, werte Kolleginnen und Kollegen - wie zu Beginn meiner Rede angesprochen -, mitnehmen, wachrütteln und sensibilisieren. Kämpfen wir für genau diese westlichen Werte! Zeigen wir Solidarität mit dem demokratischen und weltoffenen Staat Israel! Bekämpfen wir alle Formen des Antisemitismus in dieser Stadt!

 

Herr Bürgermeister! Ich appelliere auch an Sie: Warten Sie nicht zu, sitzen Sie nicht aus, lassen Sie nicht Entwicklungen einfach an sich vorüberziehen! Herr Bürgermeister! Handeln Sie! Herr Bürgermeister: „Nie wieder!“ ist genau jetzt. - Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der ÖVP. - GR Dr. Markus Wölbitsch, MIM: Bravo!)

 

Vorsitzender GR Mag. Thomas Reindl: Ich danke dem Herrn Gemeinderat für die Begründung. Zur Beantwortung der Dringlichen Anfrage hat sich der Herr Bürgermeister zum Wort gemeldet, und ich erteile es ihm. Bitte schön.

 

16.22.23

Bgm Dr. Michael Ludwig|: Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Hoher Gemeinderat!

 

Eingangs möchte ich darauf verweisen, dass es dem Selbstverständnis der Stadt Wien entspricht, dass wir uns gegen jede Form von Antisemitismus und Rassismus zu Wehr setzen, und das nicht erst jetzt. Wir entdecken den Kampf gegen den Antisemitismus nicht in der Gegenwart, sondern das ist eine Tradition, die wir seit vielen Jahren in unserer Stadt pflegen, und zwar mit vielen Aktivitäten, die ich jetzt nur ansatzweise darstellen kann. Von daher finde ich es immer gut, wenn die Bevölkerung dazu aufgerüttelt wird, gegen Antisemitismus und gegen Rassismus aufzutreten. Ich glaube allerdings, dass man das der Stadtregierung nicht sagen muss, denn wir bekennen uns nicht nur gegen jede Form von Antisemitismus, sondern wir setzen auch entsprechende Handlungen. (Beifall bei SPÖ und NEOS.)

 

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