Gemeinderat, 54. Sitzung vom 22.05.2024, Wörtliches Protokoll - Seite 74 von 109
Schimpfer von meinen Freundinnen und Freunden in der Kultusgemeinde gekriegt, aber das ist halt so. Die sind mir auch nicht grundsätzlich böse, sie sind nur verletzt. So viel zum Thema Omri Böhm.
Omri Böhm ist natürlich kein Antisemit, und das habe ich auch nicht behauptet, jedenfalls ich nicht behauptet. Nur, am 7. eines Monats eine Rede zu halten, wo die Gefahr bestand, dass die Legitimation des Staates angezweifelt wird, hat auch Ängste ausgelöst. Es kam ja nicht dazu, aber es hat Ängste ausgelöst. Und da muss man halt auf die Leute zugehen und ihnen sagen: Freunde, das ist nicht so und jedenfalls nicht so gemeint.
Darüber hinaus die Verantwortung für eine differenzierte Diskussion zu übernehmen, ist wichtig, und das werden wir. Damit kann ich jetzt auch für den Koalitionspartner sprechen, wo wir darüber geredet haben, auch für die Fortschrittskoalition und für alle Menschen guten Herzens und Willens. Dass wir da die Verantwortung übernehmen, ist in Ordnung und das tun wir mit Freude und gerne.
Meine Damen und Herren, um klarzustellen: Antisemitismus, was ist das? Der große Rabbiner des Vereinigten Königreiches, Lord Jonathan Sacks hat Antisemitismus einmal definiert als „The Dislike of the Unlike“. Das ist eine schöne Definition und deutet daraufhin, dass Antisemitismus eine bestimmte Form von Alltags- und Normalrassismus - unter Anführungszeichen - ist, aber mehr. Das hat er damit gemeint.
Theodor W. Adorno hat einmal gesagt: „Antisemitism is the rumor about the Jews“, das Gerücht über die Juden. Das ist das, was wir gerade momentan massiv erleben, und das erleben wir auch nicht abstrakt. Ich kann es Ihnen sagen, ich erlebe das persönlich, privat, in Gesprächen mit ganz - unter Anführungszeichen - normalen Menschen. In dem Zusammenhang, und seien Sie mir nicht böse, dass ich Ihnen das so sage aus meiner persönlichen Betroffenheit: Der Antisemitismus ist in Europa ein Normalfall. Es gab ihn schon lange und es gibt ihn immer noch - warum hätte sich das auch ändern sollen, es wäre wünschenswert gewesen, aber es wundert mich nicht - und er nimmt zu. Das ist besorgniserregend und frustrierend.
Einer meiner Vorredner hat auf die IHRA-Definition hingewiesen. Dieser Gemeinderat hat einstimmig beschlossen, die nicht bindende Definition für Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance zu verwenden, und das ist in meinem Verständnis der Maßstab, nach dem wir uns hier bewegen müssen. Nachdem wir das in diesem Haus beschlossen haben, habe ich von einem Nichtmitglied dieses Hauses gehört, dass das eine Katastrophe ist, weil man jetzt Israel nicht mehr kritisieren kann. Da bin ich nachdenklich geworden. Denn was heißt das und wie sehr folgt das aus dieser Definition? Es ist jetzt nicht möglich, in 20 Minuten eine grundsätzliche Einschätzung über die Funktion, Geschichte und Weiterentwicklung von Antisemitismus zu machen, nur zwei, drei Gedankengänge dazu, weil das auch durchaus zur Debatte passt.
Ich denke, dass Antisemitismus mit zwei Ursachen beschrieben werden kann: Ein struktureller, der in der gesellschaftlichen Wirklichkeit vorhanden ist und aus der Geschichte herauskommt, und ein funktioneller, wo man die Juden halt verwendet. Beides trifft zu, und man muss sich dann immer überlegen, welcher es ist. Faktum aber ist, beides ist Antisemitismus, und da gebe ich auch meinen VorrednerInnen recht: Meine Damen und Herren, es ist eigentlich ziemlich powidl, um es auf Wienerisch zu sagen, ob das jetzt von links, rechts, oben, unten, religiös oder atheistisch betrieben wird. (GRin Mag. Caroline Hungerländer: Nein, das ist nicht powidl!) Antisemitismus ist ein Verbrechen und keine Meinung und muss als solcher bekämpft werden. Dafür steht die Stadt Wien, und dafür bin ich ihr dankbar, meine Damen und Herren. (Beifall bei SPÖ, NEOS und GRÜNEN.)
Antisemitismus hat immer etwas mit der Überlegung zu tun, dass am Ende die Juden weg sind. Darum geht es. Wie das dann geschieht, unterscheidet bestimmte Spielarten des Antisemitismus. Die Krönung - unter Anführungszeichen - ist der sehr gründlich durchgeführte deutsche Vernichtungsantisemitismus und mit deutsch meine ich auch uns, also nicht als Personen, aber unsere Gesellschaft. Daraus erwächst uns auch eine Verantwortung. Dieser Vernichtungsantisemitismus ist etwas Furchtbares, denn da sagt man Leuten: Weil ihr lebt, dürft ihr nicht mehr sein, auf Grund eurer Existenz müsst ihr vernichtet werden. Das ist ungefähr die Ideologie des Nationalsozialismus und der Hamas und des iranischen Regimes, nicht der palästinensischen Bevölkerung, nicht des iranischen Volkes, aber der dort herrschenden Struktur.
Meine Damen und Herren, das gilt für alle und das hat ja auch für uns gegolten: Eine gewisse Mitverantwortung an gesellschaftlichen Strömungen und Entwicklungen tragen auch alle, die dort sind. Jeder Deutsche, jede Deutsche haben eine Mitverantwortung für die Verbrechen des Nationalsozialismus getragen. Das ist etwas, was uns aus historischer Verantwortung leitet, das gilt aber letztendlich auch für alle anderen.
Die Vorstellung, dass alle Opfer sind, ist falsch. Sie sind natürlich Opfer, aber nicht ausschließlich, es kann auch ein Opfer Mittäter sein. Das ist etwas, was wir schon auch differenziert diskutieren müssen, und dieser Gedankengang führt zu einem - es ist komisch, wenn ausgerechnet ich das sage - Appell an Nachsicht. Menschen werden nicht als Antisemiten geboren, Menschen werden zu Antisemiten gemacht, durch Erziehung und Umstände, und unsere Aufgabe ist es, einen Beitrag zu leisten, um Antisemitismus so zu bekämpfen, dass dieser Prozess nachhaltig aufgehoben und rückgängig gemacht wird. Das heißt, wenn zum Beispiel jemand zu uns kommt, aus einer Struktur, wo wir annehmen müssen und wissen, dass er antisemitische Vorurteile hat, dass Narrative in ihm sind, dann ist das schlecht, und das soll nicht so bleiben. Unsere Aufgabe ist es, das ist jetzt nicht das richtige Wort, aber mir fällt kein anderes ein, diesen Leuten zu helfen, sie aus dieser antisemitischen Haltung herauszuholen und mit ihnen zu agieren. Das ist eine schwierige Aufgabe, und ich bedanke mich in dem Zusammenhang bei allen LehrerInnen, ErzieherInnen, JugendarbeiterInnen,
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