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Gemeinderat, 54. Sitzung vom 22.05.2024, Wörtliches Protokoll  -  Seite 76 von 109

 

noriert. Das dürfen die auch. Das ist ein Diskurs an Meinung, der sein kann. Ich glaube, dass man diesen auch führen muss, wenn man Lust dazu hat oder auch nicht. Ich glaube, dass es vernünftig ist, Frau Stadträtin, dass man strukturiert Leute in einem Diskussionsprozess in das zuständige Gremium einlädt. Dafür sollte man keine Kritik bekommen, sondern zumindest Anerkennung dafür, dass es die Möglichkeit gibt. Es muss ja keiner mitreden, aber dieses „bridging“ ist gut.

 

Man muss aber auf eines aufpassen, meine Damen und Herren: In der Frage der Verdinglichung allen Seins in der spätkapitalistischen Warengesellschaft und der Entwicklung einer von Horkheimer und Adorno schön beschriebenen Kulturindustrie als Massenbetrug reduziert sich der Künstler selbst zur Ware, und es kann manchmal gelingen, durch Provokation den Marktwert dieser Ware zu steigern. (Heiterkeit bei Amtsf. StRin Mag. Veronica Kaup-Hasler.) Das führt in eine gefährliche Dialektik, meine Damen und Herren, wo es nämlich nicht mehr um Ästhetik und Inhalt geht, sondern um die Provokation an sich. Das unterstelle ich keinem Künstler der Festwochen, aber ich weise auf die Gefahr hin. Hinter der Provokation steckt eine Dialektik, die eine Eigendynamik entwickeln kann. Ich bin kein Kulturpolitiker und werde es auch nicht werden. Das ist ein Appell an die Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitiker dieses Hauses, diese Befürchtung, die ich manchmal habe, im Hinterkopf zu behalten.

 

Wir führen oft die Diskussion, und das muss ich jetzt schon auch noch sagen, wieso das so einzigartig ist beim Antisemitismus. Jehuda Bauer hat einmal gesagt, Antisemitismus und die Schoa sind ein präzedenzloses Verbrechen. Es ist nicht irgendein Rassismus. Jeder Rassismus ist schlecht, aber Antisemitismus hat eine besondere Qualität, nämlich die Unmöglichkeit, dem Rassismus des Antisemitismus zu entkommen. Das geht nicht, auch nicht durch Konversion zu einem anderen Glauben. Dadurch entsteht der Rassenantisemitismus. Die einzig vergleichbare Struktur ist der Rassismus gegen People of Colour, weil diese ihrer Grundeigenschaft nicht entkommen können. Religionen kann man wechseln, aber Leute aus Ghana können ihre Hautfarbe nicht so wechseln, eigentlich gar nicht. Darüber hinaus muss jeder Rassismus als solcher erkannt und bekämpft werden, 100-prozentig und nachhaltig, und der Antisemitismus bei uns besonders, weil Antisemitismus ein untrennbarer Teil der Geschichte dieses Landes war und ist.

 

Demzufolge kann zu Recht gefordert werden, dass alle Menschen, die in dieses Land einwandern, sich mit der Geschichte als Aura dieses Landes auseinandersetzen. Das ist die theoretische Begründung dahinter. Das ist kein Zwang, sondern der Einstieg in eine gemeinschaftliche Verantwortlichkeit und das, meine Damen und Herren, sollten wir beobachten. Alles andere - „Rumors about the Jews“, Kindermörder, Anderl von Rinn -, spare ich mir jetzt und erzähle Ihnen noch eine kurze Geschichte, die betroffen macht.

 

Wir haben am 14. des Monats Jom haAtzma’ut, den jüdischen Unabhängigkeitstag in der jüdischen Schule, in der ZPC-Schule im 2. Bezirk gefeiert. Das ist eine schöne Schule, Frau ehemalige Bezirksvorsteherin des 2. Bezirkes. Am Tag davor haben wir den Jom haZikaron gefeiert, das ist der Tag, an dem man der Opfer des Terrors und des Krieges gedenkt. Es war nicht so sicher, ob wir den Jom haAtzma’ut überhaupt feiern würden. Es gibt keinen Anlass zum Feiern, wurde gesagt, aber eigentlich haben wir ihn begangen, gefeiert haben wir nicht, in einer Schule mit vielen Kindern, einem unglaublich lustigen Theaterstück. Es war wirklich eine schöne Feier, mit Stacheldraht und Polizeischutz - mit Stacheldraht und Polizeischutz - und Antisemitismus.

 

Um zum Schluss zu kommen und etwas Positives beziehungsweise Ermutigendes zu sagen: Wenn wir gemeinsam diese Awareness entwickeln, wenn wir gemeinsam hergehen und auch über unseren Schatten springen, nicht zuerst die anderen beschuldigen, sondern danach suchen, was wir Gemeinsames beitragen können. Einer meiner Lieblingsautoren ist Ernst Bloch, und er hat gesagt: Die Hoffnung ist ins Gelingen verliebt, nicht ins Scheitern.

 

Hoffnung ist etwas Wichtiges - da bin ich wieder bei der „haTikwa“ - und ich habe die Hoffnung, dass wir vielleicht, vielleicht, und ich bitte Sie, dabei mitzuwirken, gemeinsam einen wichtigen Beitrag leisten können, um Antisemitismus in unserer Stadt zu bekämpfen. Dann hat die heutige Diskussion einen Sinn gehabt. Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei SPÖ, NEOS, ÖVP und GRÜNEN.)

 

Vorsitzende GRin Gabriele Mörk: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau GRin Mag. Bakos, und ich erteile es ihr. Bitte, Frau Gemeinderätin.

 

17.55.36

GRin Mag. Dolores Bakos, BA (NEOS)|: Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Werte Frau Stadträtin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuseherinnen und Zuseher!

 

„Es gibt Ungeheuer, aber sie sind zu wenige, als dass sie gefährlich werden könnten. Wer am allergefährlichsten ist, das sind die ganz normalen Menschen.“ Dieses Zitat des Ausschwitz-Überlebenden Primo Levi möchte ich ganz bewusst an den Anfang meiner Rede stellen, denn es ist ein sehr ausdrucksstarkes Zitat. Ich möchte es ganz bewusst auch an den Anfang meiner Rede stellen, wenige Tage nach der Befreiungsfeier des KZ Mauthausen, und ich weiß, es waren auch einige Kolleginnen und Kollegen aus diesem Hause dort Anfang Mai dieses Jahres. Im KZ Mauthausen wurden über 200.000 Menschen inhaftiert, gequält, entwürdigt und über die Hälfte von ihnen, allen voran Jüdinnen und Juden, ermordet. Die Befreiungsfeier - es ist Europa-weit die größte Befreiungsfeier - soll uns an das Ende dieses Quälens, Inhaftierens und Mordens erinnern, aber sie soll uns genauso auch daran erinnern, dass es nicht damit begonnen hat.

 

Begonnen hat es mit dem Wegschauen, mit dem Nachuntenschauen, ja nichts sehen, ja nichts hören. Es hat begonnen mit dem Schweigen, gefolgt von antisemitischen Worten, Gesetzen, dann Taten und Handlungen. Genau dieses Zitat von Primo Levi und genau diese Tatsache zeigen uns, wie wichtig es ist, sich nicht nur zu erinnern, davon bin ich zutiefst überzeugt, sondern auch ganz aktiv das Thema Antisemitismus und den Kampf gegen Antisemitismus wirklich regelmäßig auf die politische

 

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