Gemeinderat, 59. Sitzung vom 23.10.2024, Wörtliches Protokoll - Seite 20 von 82
linker Kulturpolitik. Ist es eigentlich die komplette Unkenntnis oder ignorieren Sie einfach, was das für die vielen externen Expertinnen und Experten heißt, die in den 30 Jurys und Beiräten sitzen, denen Sie die fachliche Kompetenz absprechen und denen Sie ideologische Motive unterstellen? Ich höre Ihnen sehr genau zu, wenn Sie über Kulturpolitik reden, und ich glaube, in Wirklichkeit geht es Ihnen um etwas ganz anderes. In Wirklichkeit geht es Ihnen darum, dass Sie sagen, es gibt einfach Kultur, die auf Bühnen stattfindet, die Ihnen inhaltlich nicht gefällt. Das ist für Sie einfach schlechte Kultur, das wollen Sie einfach nicht. Auch wenn ich Herrn Eppinger zugehört habe - ich höre Ihnen immer zu -, ich sage es Ihnen ganz offen, in Wirklichkeit habe ich das Gefühl, dass es Ihnen darum geht.
Als Liberaler stehe ich da auf einer ganz anderen Seite, nämlich auf der Seite der Freiheit, der Vielfalt. (GR Dr. Markus Wölbitsch, MIM: Ja, aber hoffentlich auch auf der Seite des Unternehmertums!) Kunst und Kultur ist ein offener Raum für alle Menschenrechte. Und ich sage es Ihnen auch, nur, dass ich hier nicht falsch zitiert werde. Sie haben über Antisemitismus gesprochen. Der Kampf gegen Antisemitismus ist nichts, das ein ÖVP-Mascherl hat. Wir alle stehen hier gegen Antisemitismus, und wir alle sagen, Kultur hat auch eine Verantwortung. (Beifall bei NEOS, SPÖ und GRÜNEN sowie von GR Ing. Udo Guggenbichler, MSc und GRin Mag. Ulrike Nittmann.)
Liebe Kolleginnen von der ÖVP, ich komme zum Schluss: Hören Sie bitte auf, wenn wir über Kulturpolitik reden, dystopische Bilder zu malen! Dystopische Bilder gibt es mit der ÖVP in Wien genug. Es gäbe keine Fußgängerzone auf der Mariahilfer Straße, es gäbe keine Verkehrsberuhigung auf der Kärntner Straße, es gäbe keine Donauinsel, es gäbe kein 365-EUR-Ticket, es gäbe keine Fahrradwege, es gäbe keine UNO-City. Ganz einfach, man muss es so sagen: Wien mit einer ÖVP in der Stadtregierung wäre einfach bei Weitem nicht so leiwand, wie Wien heute ist. (Beifall bei NEOS und SPÖ.)
Vorsitzende GRin Gabriele Mörk: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau GRin Mag. Berner, und ich erteile es ihr. Bitte, Frau Gemeinderätin.
GRin Mag. Ursula Berner, MA (GRÜNE): Schönen guten Vormittag! Danke, dass Sie heute auch der Kulturdebatte zuhören. Es ist etwas ganz Besonderes, dass wir das am Vormittag haben.
Liebe ÖVP-Kollegen, ich fürchte, ihr habt da eine kleine Themaverfehlung heute mit dieser Aktuellen Stunde. Es gibt schon viel Gutes in Wien, es gibt schon einiges, wo Luft nach oben ist, und darauf werde ich gleich eingehen. Aber warum ist das links? Echte linke Kulturpolitik würde heißen, dass in Wien jedes Kind im Rahmen der Pflichtschule eine grundlegende Musikausbildung bekommt. Echte linke Kulturpolitik würde außerdem heißen, dass jedes Kind ein Instrument erlernen kann, weil es ausreichend Musikschulplätze gibt.
Es würde heißen, dass an allen großen Häusern zumindest Barrierearmut herrscht. Das heißt, dass es Rollstuhlplätze gibt, dass es Induktionsanlagen gibt, dass es Über- und Untertitel gibt und am besten mehrsprachig. Linke Kulturpolitik würde heißen, dass alle KünstlerInnen in dieser Stadt für ihre Arbeit fair bezahlt werden können, sowohl bei großen als auch bei kleinen Institutionen und Vereinen. Das ist im Moment leider nicht der Fall, denn dazu müssten die Förderungen dauerhaft ständig valorisiert werden, auch bei Mittelbühnen und Festivals. Das kann nicht passieren, denn dazu müsste das Kulturbudget größer sein.
Es würde heißen, dass Leerstände in städtischen Immobilien freigeräumt werden, damit dort mehr Ateliers zu günstigen Konditionen vermietet werden. Ich spreche hier von Wiener Wohnen. Es würde heißen, dass es mehr Transparenz gibt und dass die Transparenz nicht bei den GmbHs aufhört, sondern dass ab einer Förderung von 1 Million EUR volle Transparenz herrscht, egal, ob GmbH oder nicht. Dann würden wir auch mehr über Lohngerechtigkeit im Kulturleben wissen.
Es würde heißen, dass jede Neugestaltung, jeder Stadtentwicklungsplan immer auch einen Kulturort haben, dass er mitgeplant wird, dass er Teil der Flächenwidmung ist. Das ist nicht so, wenn wir uns jetzt das Nordwestbahnhof-Gelände anschauen. Wir wissen, das war einmal so. Bei der sogenannten roten Kulturpolitik in den 20er Jahren habt ihr überall immer Bildungseinheiten, Bibliotheken oder andere Volksbildungseinheiten mitgeplant.
Dennoch freue ich mich, in dieser Stadt zu leben, weil viel öffentlicher Diskurs möglich ist. Mir muss persönlich nicht alles gefallen, was in der Kulturpolitik stattfindet. Es ist nicht meines, egal, ob ich in ein Punkkonzert oder zu einem Quartettabend gehe. Es ist egal, ob ich ein Community-Kochen oder Kafka in Form von Ballett sehe, das Angebot ist sehr breit, und ich muss nicht alles persönlich mögen. Darum geht es. Ziel der Kulturpolitik kann nicht sein, dass es nur um schöne Musen geht, sondern es geht darum, den Blick zu öffnen. Es geht darum, manchmal zu irritieren und vielleicht zum Nachdenken anzuregen, und es geht um Verallgemeinerungen von Ideen. Insofern ist der Raum, der durch Kulturangebote geöffnet wird, eine grundlegende Basis für eine demokratische Gesellschaft, wie auch Haide Tenner das bei der Eröffnung des Theaters an der Wien gesagt hat. Daran möchte ich festhalten, denn Demokratie braucht Diskurs und Auseinandersetzung. (Beifall bei den GRÜNEN.)
Viele Kulturangebote in Wien bieten das an. Dagegen war die erste Aktion der rechten Kulturpolitik von Schwarz-Blau in Oberösterreich, das Kulturbudget sofort zu kürzen: Minus 34 Prozent bei der Literatur, minus 33 Prozent bei der Musik, minus 31 Prozent bei der bildenden Kunst, minus 28 Prozent bei der Filmförderung, sogar bei Volkskultur und Blasmusik. Und dann haben sie auch noch 10 Prozent für die freien Vereine gestrichen. Was wurde stattdessen gefördert? Motohall! Entschuldigung, das kann doch nicht Kulturpolitik sein. (GR Dr. Markus Wölbitsch, MIM: Entweder, oder! - Gabalier auch nicht?)
Wir wissen also, bei aller Kritik, welchen kulturpolitischen Zugang wir aus der Opposition höher schätzen: Den, wo Diskurs ermöglicht wird, den, wo die Freiheit der Kunst hochgehalten wird, den, der manchmal nervt und es trotzdem schafft, Hoffnung und Visionen für eine bessere Welt in die Köpfe der Menschen zu pflanzen. Das wollen wir schon. (Beifall bei den GRÜNEN.)
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