Gemeinderat, 2. Sitzung vom 23.06.2025, Wörtliches Protokoll - Seite 54 von 109
gel zwischen UNO, NATO, Europa und den USA verloren gegangen sind.
Als fatale Mischung aus Zögerlichkeit und Ignoranz hat ein Journalist das Verhalten der internationalen Gemeinschaft bezeichnet, und ich würde sagen, dass das zutreffend ist. Es gibt Ereignisse in der Geschichte, die sind eine Zäsur. Nach denen ist nichts mehr wie zuvor, und der Völkermord von Srebrenica ist so ein Ereignis. Die Nachkriegshoffnung, dass es auf europäischem Boden keinen Genozid mehr geben würde, wurde damit endgültig zu Grabe getragen, die UNO wurde als zahnlos entlarvt, die EU als uneinig, die NATO als entscheidungsschwach.
Das Massaker von Srebrenica wurde damit zu einem Symbol für das moralische und politische Versagen der Weltgemeinschaft angesichts systematischer, ethnischer Gewalt. Dieses Gefühl von Schuld, das damit einhergeht, beeinflusst politische und auch sicherheitspolitische Entscheidungen bis heute.
Ich habe jetzt keine exakten Zahlen dazu gefunden, wie viele Nachfahren der Opfer von Srebrenica direkt nach Wien gekommen ist und wie viele Nachkommen von ihnen in Wien leben, aber was man sicher weiß, ist, dass von diesen rund 85 000 Flüchtigen, die im Zuge des Bosnienkriegs aus Bosnien-Herzegowina nach Österreich gekommen sind, sehr viele in Wien ihre Heimat gefunden haben. Deshalb bin ich überzeugt davon, dass es für Wien besonders wichtig ist, durch das Gedenken an Srebrenica und durch die Stärkung der Erinnerungskultur gegen Nationalismus, Rassismus und ethnische Hetze aufzutreten. Genauso wichtig ist es, dass wir uns der Fehlbarkeit der internationalen Gemeinschaft bewusst bleiben, dass wir daraus lernen und stetig an uns arbeiten zum Wohle aller, die in Wien leben, und um besser zu werden. Danke sehr. (Beifall bei NEOS, SPÖ, GRÜNEN und von GR Hannes Taborsky.)
Vorsitzende GRin Marina Hanke, BA: Die tatsächliche Redezeit war sieben Minuten, die fraktionelle Restredezeit ist damit zwei Minuten.
Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr GR Bambouk. Die selbst gewählte Redezeit ist sechs Minuten, und ich erteile ihm das Wort. Bitte.
GR Jaafar Bambouk, MA (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Vorsitzende, geschätzte Frau Stadträtin, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich darf mich heute zum ersten Mal als neu gewähltes Mitglied des Wiener Gemeinderates an Sie wenden mit meiner Rede. Daher erlaube ich mir auch kurze Vorstellungsworte, damit Sie mich besser kennenlernen. Mein Name ist, wie gesagt, Jaafar Bambouk. Ich bin im Jahr 2014 im Alter von 15 Jahren von Syrien nach Österreich geflüchtet. Ich habe in Wien meine Matura gemacht, ich habe einen Bachelor und einen Master in Politikwissenschaft an der Universität Wien abgeschlossen und bin heute Masterstudent der International Studies an der Diplomatischen Akademie. Ich werde Sie die nächsten fünf Jahre immer wieder an Auszügen meiner persönlichen Lebensgeschichte teilhaben lassen. Damit will ich aufzeigen, dass Erfolgsgeschichten der Integration kein Einzelfall, sondern auch und schon längst in der Politik angekommen sind, egal, ob das der FPÖ gefällt oder nicht. (Beifall bei GRÜNEN, SPÖ und NEOS.)
Wie Sie wissen, komme ich aus einer Diktatur, und ich weiß genau, wie es ist, in einer solchen zu leben. Als ich in Österreich angekommen bin, hat mich die liberale Demokratie mit ihrer freien Meinungsäußerung, mit ihren freien Wahlen und mit dem ihr innewohnenden Pluralismus fasziniert. Lassen sich mich deshalb an dieser Stelle sagen, dass es mich mit großer Freude und Demut erfüllt, hier heute vor Ihnen zu stehen. Ich habe nach meiner Ankunft in Österreich alles gemacht, um die Staatsbürgerschaft zu bekommen. Bereits meine Einbürgerung hat mir ein extrem großes Gefühl der Freiheit bereitet und dass ich nun eineinhalb Jahre später nicht nur Wählender, sondern auch gewählter Bürger dieses Landes und dieser Stadt wurde, lässt meine Begeisterung für diese liberale Demokratie nur größer werden. (Beifall bei den GRÜNEN.)
Mit meiner heutigen Rede möchte ich mich dem mit Bezug versehenen Tagesordnungspunkt der Europäischen Union und dem Thema der europäischen Angelegenheiten widmen. Es wurde heute schon erwähnt: Wien ist die fünftgrößte Stadt der Europäischen Union, dementsprechend muss sich Wien auch verhalten und daher sind wir alle als politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger dieser Stadt aufgefordert, alles zu tun, damit Wien dieser Rolle gerecht werden kann.
Aber was bedeutet das in der Praxis? - Wir erleben sehenden Auges, wie liberale Demokratien weltweit und auch auf europäischem Boden Stück für Stück attackiert, abgebaut und teilweise abgeschafft werden. Da haben wir als Hauptstadt eine große Verantwortung, gegen diese Tendenzen vorzugehen, wo und in welchem Ausmaß auch immer sie stattfinden. Heute steht die liberale Demokratie in Gefahr. Rechtsextreme wie Putin und dessen europäischen Freunde wollen genau dieses System und die Freiheiten darin ersetzen. Was Putin mit seinem weiterhin laufenden Angriffskrieg vor mittlerweile dreieinhalb Jahren losgetreten hat, ist eine gefährliche Lawine der antidemokratischen Kräfte, und bei so einer Lawine, die auf uns zurollt, dürfen wir keinesfalls nur zuschauen, sondern müssen handeln. Wir müssen dieser Gefahr entgegentreten. (Beifall bei den GRÜNEN.)
Ja, das bedeutet auch finanzielle Unterstützung zur Verfügung zu stellen und Hilfe zu leisten in Gebieten, die am essenziellsten betroffen sind, zum Beispiel auch in der Ukraine, wo humanitäre Hilfe notwendig ist. Deshalb habe ich mir in diesem Zusammenhang den Förderbericht 2024 angeschaut, in der Erwartung, Wien würde da viel leisten. Aber ich musste feststellen, dass die Förderungen für humanitäre Projekte in der Ukraine, die von der Stadt Wien ausbezahlt wurden, nicht einmal die Summe von 150 000 EUR übersteigen. Ich weiß, dass die Stadt Wien in anderen Hilfesektoren tätig ist - wenn ich an die Sachleistungen und Einsatzfahrzeuge denke -, nichtsdestotrotz muss ich feststellen, dass wir angesichts dessen, dass Putin diesen Krieg nicht beenden will, in diesem Zusammenhang mehr unternehmen müssen, um essenzielle Arbeit gegen kriegerische, antidemokratische Lawinen zu leisten. (Beifall bei den GRÜNEN.)
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