Landtag,
6. Sitzung vom 30.1.2002, Wörtliches Protokoll
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EU-Abgeordneten dargelegt.
Freilich sind die Diskussionen damit nicht beendet.
Das sollen sie im Sinne einer effizienten Erbringung der kommunalen
Dienstleistungen auch gar nicht, aber es wurde für die weitere Arbeit in diesem
Bereich klargestellt, dass unterschiedliche Positionen und Voraussetzungen eine
höhere Berücksichtigung erfahren müssen.
Ich darf meine weiteren Ausführungen mit einem Zitat
fortsetzen: "Es steht jedenfalls fest: Die Annahme der
Marktfundamentalisten, Märkte regulieren sich von selbst, ist falsch. Der
Regierung fällt eine wichtige Rolle bei der Stabilisierung der Makroökonomie
zu." - Dieses Zitat, meine Damen und Herren, stammt nicht von Karl Marx,
es ist nicht einmal von Keynes, sondern es stammt vom aktuellen
Nobelpreisträger für Ökonomie, Joseph Stiglitz.
Man könnte jetzt der Ansicht sein, dass diese Aussage
ein Allgemeinplatz ist. Er ist es - leider, möchte ich hinzufügen - nicht. Nach
wie vor und ungeachtet aller wirtschaftlichen Probleme herrscht vielfach die
Ansicht vor, die öffentliche Hand möge sich weitgehendst aus der
wirtschaftspolitischen Gestaltung zurückziehen. Das gilt nicht nur für die
klassischen Maßnahmen aktiver Wirtschaftspolitik, sondern dieses Argument zielt
auch auf die Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen. Leider macht es
dabei auch vor der Europäischen Kommission nicht Halt, die erst kürzlich einen
Verordnungsentwurf zum Thema "Daseinsvorsorge" vorgelegt hat.
Meine Damen und Herren! Ich bin sicher, dass es auch
unter jenen von Ihnen, die für eine weit reichende Liberalisierung oder
Privatisierung kommunaler Dienstleistungen eintreten, viele gibt, denen die
Verbesserung dieser Dienstleistungen und damit das Wohl der Bürgerinnen und
Bürger ein wichtiges Anliegen sind.
Effizienzsteigerung, Kostenersparnis,
Qualitätsverbesserung, all dies soll dadurch erreicht werden, dass es mehrere
Anbieter solcher Leistungen gibt, sei es in Form tatsächlicher Konkurrenz oder
mit Hilfe von Ausschreibungsverfahren. Um dies zu hinterfragen, ist es
notwendig, sich einerseits mit der Struktur dieser Leistungen und andererseits
mit der grundsätzlichen Wirkung von Marktmechanismen auseinander zu setzen.
Zunächst ist die Frage zu stellen, ob die apodiktische Behauptung von der
höheren Effizienz privater gegenüber öffentlichen Unternehmen tatsächlich gilt.
Aus der Unternehmens- und Organisationstheorie wissen wir, dass dieses
Effizienzproblem in erster Linie eines großer Organisationen ist, unabhängig
von ihrer Rechtsform und Marktnähe. Was etwa im Bereich der Innovationstheorie
ein Allgemeinplatz ist, nämlich dass Innovation in erster Linie von kleinen und
mittleren Unternehmen ausgeht, weil die großen Player, die ebenfalls zu
100 Prozent marktorientiert und oft leider in einem viel zu hohen Ausmaß
shareholderorientiert sind, nicht flexibel genug sind, wird im Bereich der
kommunalen Dienstleistungen konsequent ignoriert. Und dass etwa die
Wasserversorgung in einer Großstadt durch viele Kleinunternehmen sichergestellt
werden kann, glauben nicht einmal die verwegensten Marktapologeten.
Kommunale Versorgungsleistungen haben vielfach den
Charakter natürlicher Monopole und eignen sich daher nicht für rein marktmäßige
Lösungen. Aber auch dort, wo man über die Frage, ob tatsächlich ein natürliches
Monopol gegeben ist, streiten kann - der Umfang dieses Begriffs wurde in den
letzten Jahrzehnten von der ökonomischen Theorie durchaus zu Recht reduziert -,
ist man von lehrbuchmäßigen Konkurrenzlösungen weit entfernt. Denn gerade die
im Versorgungsbereich hohen Eintrittsbarrieren und economies of scale führen
wiederum zu Oligopol- oder gar Monopolbildungen, die nicht einmal im
neoliberalen Gedankengebäude optimale Lösungen hervorbringen.
Es wird im Bereich der Daseinsvorsorge dem Markt ein
Vertrauen entgegengebracht, das durch die Entwicklungen auf anderen Märkten
eigentlich längst erschüttert sein sollte. Wir lesen täglich von Megafusionen
internationaler Multis, von fragwürdigen, mit dem Wettbewerbsprinzip
keinesfalls vereinbaren Praktiken dieser und - ich sage dies auch mit
ausdrücklicher Hochachtung - vom Kampf des Wettbewerbskommissars Monti gegen
diese Praktiken. Warum aber sieht man nicht oder will man nicht sehen, dass man
mit der zwangsweisen Liberalisierung von Leistungen der Daseinsvorsorge diese
Gefahren auch auf Bereiche ausdehnt, die bis jetzt nicht davon betroffen waren?
Meine Damen und Herren! Ich weiß, dass mir nun manche
entgegenhalten werden, es gehe nicht um unkontrollierte Privatisierung, sondern
um eine nach strengen Regeln ablaufende Liberalisierung. In manchen Bereichen
ist dieses Argument sicherlich sinnvoll und gerechtfertigt, etwa bei der
Telekommunikation oder im Energiebereich, auch wenn es sicherlich noch zu früh
ist, die Ergebnisse dieser Liberalisierungen abschließend zu beurteilen. Aber
man muss sich mehrerer Dinge bewusst sein: Auch noch so raffinierte legistische
Regelungen können nicht in der Lage sein, die Wirklichkeit mit all ihren
Eventualitäten eins zu eins abzubilden. Konflikte zwischen den öffentlichen
Interessen des Auftraggebers und den privatwirtschaftlichen Interessen des
Auftragnehmers sind daher vorprogrammiert.
Lassen Sie mich ein Beispiel anführen: Durch eine
große Betriebsansiedlung wird die bessere infrastrukturelle Erschließung eines
bestimmten Gebiets notwendig, sei dies bei der Wasserver- und -entsorgung, der
Müllbeseitigung oder der Verkehrsanbindung. Jetzt kann der Eigentümer
beschließen: Das wird gemacht. Im Falle liberalisierter Systeme wären langwierige
Verhandlungen notwendig, und bei diesen sitzen die Privaten am längeren Ast.
Denn unter Legitimationszwang steht die Politik, und diese ist damit
erpressbar, denn eine rasche Lösung kostet.
Lassen Sie mich einen Augenblick bei dem Begriff der Legitimation
bleiben. Ich gebe schon zu, dass das für uns Politiker manchmal unangenehm ist.
Wenn die Müllabfuhr oder die U-Bahn nicht kommt, sind sehr schnell wir schuld.
In Wirklichkeit ist dieser Zwang zur Legitimation aber ein ganz zentraler
Aspekt bei der Bereitstellung öffentlicher Leistungen. Es ist die Pflicht und
Schuldigkeit
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