Landtag,
6. Sitzung vom 30.1.2002, Wörtliches Protokoll
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einen eine Skepsis gegenüber derartigen Maßnahmen, zum
anderen aber auch, dass in jedem Fall eine differenzierte Betrachtung notwendig
ist. Man kann nicht alle Bereiche über einen Kamm scheren, man kann nicht von
regionalen Besonderheiten abstrahieren. Meine Haltung zu Liberalisierungen und
organisatorischen Neuerungen besteht daher keineswegs in einem reflexartigen
Nein, sondern es gilt, die für jeden Einzelfall jeweils beste Lösung zu finden.
Die Wiener Stadtregierung hat sich in der Vergangenheit
verschiedenen Umstrukturierungsmaßnahmen keineswegs entzogen. Ganz im
Gegenteil. Diese haben zum Ziel, die kommunalen Dienstleistungen noch effizienter
zu gestalten, flexibler zu machen und dort, wo es notwendig ist, die
Organisationen besser an die Marktgegebenheiten anzupassen. Das alles freilich
unter der Prämisse, dass es zu keinen Einschränkungen der Qualität und der
Leistbarkeit der Dienstleistungen kommt.
Als hervorstechendstes Beispiel ist sicherlich die Ausgliederung
der Wiener Stadtwerke zu nennen. Damit wurde auf sinnvolle Weise auf die
geänderten rechtlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen reagiert und
gleichzeitig die Versorgungsleistung nicht nur sichergestellt, sondern auch für
die Zukunft fit gemacht.
Auch die organisatorischen Änderungen beim Wiener
Wohnen, bei den Museen und in anderen Bereichen beweisen, dass der Vorwurf des
Strukturkonservativismus mehr als ungerechtfertigt ist. Diese Veränderungen
sind auch nicht abgeschlossen, sondern werden sich weiter dynamisch entwickeln,
je nach den Erfordernissen.
Ich verweigere auch keineswegs die Diskussion über
Besitzverhältnisse oder Beteiligungen an verschiedenen Unternehmen. An eine
solche Diskussion ist völlig unideologisch, pragmatisch und fallbezogen
heranzugehen. Eines aber wird es in Wien nicht geben: Die Sozialisierung von
Verlusten und die Privatisierung von Gewinnen. Mancherorts werden auch nach
betriebswirtschaftlichen Kriterien erfolgreiche Bereiche auf den Markt
geworfen, während sich die öffentliche Hand jene mit Zuschussbedarf gnädig
behalten kann. Wenn schon immer wieder der fragwürdige Vergleich der
öffentlichen Hand mit einem Unternehmen hergestellt wird: Eine solche Vorgangsweise
entspricht sicher nicht dem Handeln eines ordentlichen Kaufmanns.
Die Qualität kommunaler Dienstleistungen hat einen
wesentlichen Gradmesser: Die Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger. Mir ist
zwar bewusst, dass dies in vielen Städten nur unzureichend gegeben ist und ich
kann schon verstehen, wenn daher die politisch Verantwortlichen verleitet sind,
im Instrument der Liberalisierung und Privatisierung Abhilfe zu suchen, aber,
meine Damen und Herren, Wien denkt doch anders! Kaum wo ist der
Zufriedenheitsgrad mit kommunalen Dienstleistungen so hoch wie in Wien, egal,
ob man die Wienerinnen und Wiener fragt oder ausländische Gäste. So wurde
beispielsweise erst jüngst die hohe Zufriedenheit mit dem öffentlichen
Verkehrssystem erneut dokumentiert. Ich frage mich, warum man diese hohe
Qualität aufs Spiel setzen sollte.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wird immer
wieder auf die Bedeutung lokaler Gebietskörperschaften hingewiesen. Der Gedanke
der Subsidiarität erfährt breite Unterstützung. Ich bin darüber sehr froh und
ein klarer Verfechter dieses Zugangs, denn der Begriff des "Europas der
Regionen" und eine Stärkung der Rolle der Städte in der Europäischen Union
hat nichts mit Provinzialismus zu tun. Es geht zum einen darum, der
Globalisierung der Ökonomie durch die wirtschaftliche Einheit Europas Rechnung
zu tragen, zum anderen aber um das Bewusstsein der vielfältigen kulturellen
Differenzierungen, die ein untrennbarer Bestandteil der europäischen Stärke
sind.
Auch die Identifizierung der Bürgerinnen und Bürger
mit dem europäischen Projekt wird nur dann steigen, wenn einerseits die
Vorteile der wirtschaftlichen Einheit erkennbar sind, andererseits aber auch
die Bedeutung und die Besonderheiten lokaler und regionaler Einheiten weiterhin
spürbar und im politischen Entscheidungsprozess relevant sind.
Wenn man sich zu einem System des Föderalismus und
der Subsidiarität bekennt, sollte man nicht die Möglichkeiten beschränken,
diese Grundsätze auch in der politischen Praxis zur Geltung kommen zu lassen.
Die Bereitstellung kommunaler Dienstleistungen ist ein wichtiges Element der
kommunalen Selbstverwaltung und diese wiederum ein wichtiges Element der
Demokratie.
Es liegt mir im Sinne dieser Eigenverantwortlichkeit
auch fern, anderen etwas vorschreiben zu wollen. Jede Stadt, jede Region soll
ihre öffentlichen Dienstleistungen auf die Weise erbringen, die ihr am besten
erscheint. Im Gegenzug will ich mir aber ebenfalls nicht vorschreiben lassen,
welchen Weg wir zu gehen haben.
Die Stadt Wien hat innerhalb der Europäischen Union
zur Liberalisierungsdebatte klar Stellung bezogen. Es war die Initiative Wiens
und einer Reihe von anderen Städten, die etwa auf die großen Probleme und sehr
unterschiedlichen Interessenlagen im Zusammenhang mit der Liberalisierung des
öffentlichen Personennahverkehrs hingewiesen hat. Dieser Einsatz hat, wenn
schon nicht zu einem vollkommenen Umdenken, so doch zu einem wesentlichen Mehr
an Realismus seitens der Europäischen Kommission geführt. Gleiches gilt auch
für den Richtlinienentwurf zur Daseinsvorsorge. Wir haben damit gezeigt, wie erfolgreiches
Lobbying in der EU funktioniert: Ohne Theaterdonner, ohne Drohgebärde, ohne
wichtige Partner langfristig zu vergrämen, sondern durch die Suche nach
Verbündeten, gute Argumente und Konsequenz in der Sache.
Wien wird sich in der künftigen Diskussion in europäischen
Gremien, im neu geschaffenen Konvent und in der europäischen Öffentlichkeit in
seinen Beiträgen an diesen Grundüberlegungen orientieren. - Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPÖ.)
Präsidentin Erika Stubenvoll: Ich danke dem Herrn Landeshauptmann für den Bericht.
Wir kommen nun zur Diskussion. Die Geschäftsordnung
bestimmt, dass bei der nun folgenden Besprechung
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