Landtag,
9. Sitzung vom 27.06.2002, Wörtliches Protokoll - Seite 44 von 49
haus zu gebären und es dann vielleicht in einer ersten
Schocksituation umzubringen oder auszusetzen.
Wir Wiener Grüne
sind, wie der Vorschlag es auch vorsieht, durchaus der Meinung, dass Frauen in
Not mit allen zu Gebote stehenden Mitteln geholfen werden soll und werden daher
auch zustimmen. Wir haben dennoch einen Beschlussantrag eingebracht, den ich
nun begründen möchte.
Die anonyme Geburt ist eine konsequente und durchaus
sinnvolle Weiterentwicklung der Idee der Babyklappe, die die selbe Intention
hat, dass Frauen ihre Kinder nicht irgendwo weglegen, sondern an einen Ort
bringen, wo für ihre Gesundheit und ihr weiteres Leben gesorgt wird. Es ist
konsequent zu sagen, man sollte sich nicht nur erst um das Baby kümmern, wenn
es geboren ist, sondern man sollte dort beginnen, wo für die Frau ein großer
Stress, eine große Betreuungsnotwendigkeit besteht, nämlich bei der Geburt, vor
der Geburt, während der Geburt. Es macht also Sinn, medizinische Vorkehrungen
zu treffen, die Frau in eine Situation zu bringen, wo sie ihr Kind gut zur Welt
bringen kann.
Es gibt aber - das soll gesagt sein - zu dieser
Legalisierung der anonymen Geburt auch viele kritische Stimmen und diese
kritischen Stimmen kommen nicht von Leuten, die Frauen ins Unglück stürzen
wollen oder die Frauen beschuldigen wollen, wenn sie in einer solchen
Notsituation sind, sondern von Experten und Expertinnen, die bezweifeln, dass
mit diesem Instrument tatsächlich erreicht wird, was erreicht werden soll.
Es hat einen Sinn, dort hinzuschauen, wo es bereits
eine langjährige Praxis mit der gesetzlichen Ermöglichung der anonymen Geburt
gibt, beispielsweise nach Frankreich. Frankreich hat 1941 die anonyme Geburt unter
dem Eindruck der Kriegssituation als Möglichkeit legalisiert, den Frauen eine
Chance zu geben, sich nicht zu Kindern, die entweder durch Vergewaltigung oder
durch Beziehungen zu den Besatzungssoldaten, den deutschen Soldaten entstanden
sind, bekennen zu müssen. Heute leben zirka 400 000 Menschen in
Frankreich, die auf diese Weise anonym geboren worden sind und viele von ihnen
kämpfen psychisch sehr stark mit diesem Verlust an Identität, mit diesem
Verlust an Wissen um ihre Herkunft. Es entstehen Phantasien, wer man eigentlich
ist, wo man hergekommen ist, wer die Eltern sind, welches andere mögliche Leben
Alternative gewesen wäre. Organisationen von betroffenen Menschen haben sich
mit dem Ziel gebildet, die anonyme Geburt wieder abzuschaffen. Sie haben einen
ersten Erfolg erzielt. Frankreich beschränkt die anonyme Geburt. Frankreich
wird eine Zentralstelle einrichten, in der allgemeine Informationen über die
leiblichen Eltern aufbewahrt werden sollen und die Mütter werden gebeten, bei
der anonymen Geburt unter Geheimhaltung Angaben zu ihrer Identität zu
hinterlassen. Aufgehoben soll diese Anonymität und diese Geheimhaltung
allerdings nur werden, wenn alle Beteiligten damit einverstanden sind.
Dazwischengeschaltet in diesem Prozess ist eine Beraterin, eine Beamtin aus
dieser Zentralstelle.
Sie wissen vielleicht auch, dass es in Deutschland
eine sehr kontroversielle Debatte zur anonymen Geburt gibt. Anfang Juni sollte
das Personenstandsgesetz mit dem Ziel novelliert werden, auch in Deutschland
die anonyme Geburt zu ermöglichen. Der Vorschlag wurde allerdings nach der
ersten Lesung wieder von der Tagesordnung genommen, und zwar deshalb, weil sich
die Gräben wieder aufgetan und die Kritiker und die Kritikerinnen sehr massiv
in die Debatte eingemischt haben. Dazu muss man sagen, diese Diskussion geht
quer durch alle Parteien. Unter den Grünen,
den Konservativen, bei den Sozialdemokraten, überall gibt es Befürworter und
Gegner dieser Lösung, denn - das muss gesagt werden - die anonyme Geburt stellt
wichtige Errungenschaften der jüngeren Zeit in Frage.
So hat sich der Umgang mit
der Adoption in den vergangenen Jahren fundamental geändert. Das über sehr
lange Zeit vorherrschende Prinzip, den Kindern nie Auskunft zu geben, die
biologische Herkunft völlig im Dunkeln zu halten, der Rat an die Eltern, nichts
zu sagen und vielleicht frühestens beim 18. Geburtstag Auskunft über das
Faktum der Adoption zu geben, wurde abgelöst von einem offensiven Zugang, wo
die Kinder sehr wohl informiert werden, dass sie adoptiert worden sind und auch
die Möglichkeit eingeräumt wird, dass Kinder, wenn sie ein gewisses Alter
erreicht haben, Zugang zu den Informationen über ihre biologische Herkunft
bekommen.
Ein Grund für diese Vorgangsweise ist der Umstand,
dass Psychologen herausgefunden haben, dass es sehr schwierig ist, dieses
Nichtwissen um die eigene Herkunft zu verkraften. Die eigene Herkunft als
Blackbox gibt Phantasien Anlass, wer denn die wirkliche Mutter gewesen sein
könnte und unterminiert die enge Beziehung in der Familie, in der man sozial
aufwächst.
Es muss auch gesagt werden, dass die Möglichkeit der
anonymen Geburt im Gegensatz zur UN-Kinderrechtskonvention steht, die im
Artikel 7 das Recht jedes Menschen auf Wissen um seine Abstammung
festschreibt. Dieses Wissen soll uns ein hohes Gut sein.
Man kann nun einwenden, das ist ein durchaus
bedenkenswertes und überlegenswertes Argument, dass das Recht auf Leben
schwerer zu wiegen hat, als das Recht auf Wissen der eigenen Abstammung. Umso
mehr muss es uns ein Anliegen sein, dass das Gesetz wirklich greift, dass genau
diejenigen erreicht werden, für die die Alternative in der Ausweglosigkeit
bestehen würde, für die die Alternative Suizid oder Gefahr für das Kind, für
Leib und Leben, wäre. Wir können nicht sagen, Hauptsache jemand lebt und der
Rest ist uns egal. Dann müsste man uns mit Recht Naivität und
Verantwortungslosigkeit unterstellen. Um Eltern- und Kinderrechte zu
beseitigen, muss man im Einzelfall gute, gerechtfertigte Gründe anführen und
darf nicht ein Tor zu einer neuen, möglicherweise von uns nicht geteilten
Motiven geleiteten Handlungsweise aufmachen. Es könnte nämlich sein, dass die
anonyme Geburt für die Frau eine im Moment plausible Scheinlösung darstellt,
die sie vielleicht später bereut und von der es keinen Weg zurück mehr gibt.
Außerdem - das ist mir besonders wichtig - soll das Gesetz
keine neue Zielgruppe schaffen, die wir über-
Stadt Wien | Geschäftsstelle Landtag, Gemeinderat, Landesregierung und Stadtsenat (Magistratsdirektion)
Kontaktformular