Landtag,
9. Sitzung vom 27.06.2002, Wörtliches Protokoll - Seite 45 von 49
haupt nicht erreichen wollen, nämlich Männer, die Väter,
Freunde oder Ehemänner sind, die ihre Töchter, Freundinnen und Frauen zwingen,
anonym zu gebären, weil sie weder die Verantwortung übernehmen wollen noch die
finanzielle Belastung tragen möchten. Sagen Sie nicht, dass das nicht vorkommt!
Die Praxis zeigt, es ist bereits vorgekommen.
Oder dass Frauen erreicht werden, die persönlich eigentlich
zu ihrem Kind stehen wollten oder auch mit einer Adoption leben könnten, aber
die die Anonymität deshalb suchen, weil sie die Geburt des Kindes vor ihrer
nächsten Umgebung nicht vertreten können, die gar nicht grundsätzlich sagen,
ihr Kind muss anonym geboren werden, wo es aber die Mama, der Freund oder der
Ehemann nicht wissen darf. Diesen Frauen steht schon jetzt die
Inkognitoadoption offen. Das heißt, das Krankenhaus weiß den Namen des Kindes,
die Adoptionsstelle erfährt ihn und der Notar ebenso. Das würde bedeuten, dass
der Mutter im Falle einer persönlich revidierten Entscheidung, den Medizinern
im Falle einer genetischen Erkrankung oder anderer medizinischer Probleme, die
sich im Anschluss an eine Geburt oder im späteren Leben des Kindes ergeben
können, der Weg ins Dunkel versperrt ist und dass es Möglichkeiten gibt, auf
die genetische Mutter zurückzukommen.
Wichtig ist für mich, dass das Gesetz genau die
Frauen erreicht, um die es uns geht, die jungen Mütter, die in Panik irgendwo
ihr Kind entbinden, weil sie die Schwangerschaft vor sich und der Welt
verschwiegen und verdrängt haben. Es wird sehr schwer sein, diese Zielgruppe zu
erreichen, denn es ist schwer, wenn jemand für sich sagt: "Ich bin nicht
schwanger, ich bekomme kein Kind." und dann widerfährt einem machtvoll
dieses Ereignis, dass das dann die Zielgruppe ist, die rechtzeitig ins Spital
geht und sagt: "Ich schaue meiner Erfahrung der Schwangerschaft ins
Gesicht, ich entscheide mich für eine anonyme Geburt, bitte helfen Sie mir
dabei." Von der psychischen Verfassung der Mädchen ist es sehr schwer
möglich, diese Frauen zu erreichen.
Was mir besonders wichtig ist, haben auch Expertinnen
und Experten, die Erfahrungen mit der anonymen Geburt gemacht haben, erzählt:
Frauen in dieser Verzweiflungssituation brauchen Beratung und Unterstützung. Diese
Beratung und Unterstützung kann möglicherweise andere Wege eröffnen, die die
Frau vorher nicht gesehen hat. Manche Frauen - das ist die Hoffnung, die ich
mit dem Gesetz tatsächlich verbinde - kommen, um anonym zu gebären und gehen
entweder mit dem Kind oder lassen sich auf eine Adoption ein.
Woran ich bei dem Gesetz auch denken möchte, ist das
Personal in den Spitälern. Das ist eine völlig neue Situation, die völlig neue
Konflikte und Probleme für das Personal schafft. Das Personal muss in der
Situation richtig entscheiden und es braucht dazu mehr Unterstützung, als wir
gemeinhin bei einer Geburt für das Personal vorsehen.
Die Fälle, von denen ich jetzt spreche, haben schon
stattgefunden. Was soll das Personal tun, wenn eine Frau offenbart, dass sie nur
deshalb anonym entbinden möchte, weil draußen der Bruder steht und sagt, wenn
sie mit dem Kind hinauskommt und sich dazu bekennt, wird sie von der Familie
verstoßen, aber selbst sagt, sie würde das Kind gern haben? Was tun dann die
Hebammen, die Ärzte, die Sozialarbeiter mit dieser Frau? Was sollen sie tun,
wenn die anonyme Geburt zeigt, dass es einen Abgrund eines gescheiterten Lebens
gibt, wo die Entbindung, die bevorsteht, eigentlich nur ein weiterer Stein
dieses Scheiterns ist und die Anonymisierung eigentlich nichts an der Krise
ändert, sondern dass die Frau dann sozusagen durch die Anonymität auch noch
weggeschickt wird und es den Ärzten, Hebammen und Schwestern nicht möglich ist,
Kontakt zu etablieren, um Hilfe anzubieten? Was soll das Personal tun - auch
das ist bereits passiert - in der Erfahrung mit der anonymen Geburt, wenn es
erfährt, dass die Geburt nur deshalb anonym gewählt wird, weil dahinter ein Inzest
steht, den Männer, Väter, Brüder verschleiern wollen? Wenn dahinter eine
Vergewaltigung steht? Wenn dahinter und rundherum angedrohte oder erfolgte
Gewalt steht? Eigentlich sind das alles Delikte, die das Personal verfolgen müsste,
wo Anzeige gemacht würde. Die Anonymität der Geburt versperrt aber diesen Weg.
Wir stimmen dem Gesetz zu, obwohl wir Fragen über
Fragen haben. Warum ich gestern schon in bilateralen Gesprächen so sehr dafür
war und Sie jetzt auch sehr herzlich bitte, unserem Beschlussantrag zuzustimmen,
ist, weil ich nicht möchte, dass wir blind in dieses Gesetz hineingehen, blind
in dem Sinn, dass wir uns nicht Gedanken darüber machen, was wirklich passiert.
Werden die Frauen erreicht, die wir erreichen wollen? Oder - was wir nicht
wollen - machen wir neue Zielgruppen auf, einen perversen Markt, den keiner von
uns für sinnvoll hält? Verringern sich die Zahlen der Kindesweglegungen und
Kindestötungen dadurch? Erreichen wir mit dem Gesetz, was wir wollen?
Ich habe mit Frau StRin Pittermann im Vorfeld immer
wieder darüber gesprochen. Die Frau Stadträtin hat durchaus bedenkenswert dazu
gemeint: "Wenn Sie jetzt eine Begleituntersuchung, eine wissenschaftliche
Forschungsarbeit, eine Begleitstudie wollen, dann ist das vielleicht im
Gegensatz zur Anonymität. Wie wollen wir etwas von Frauen wissen, die wir
eigentlich nicht fragen dürfen?"
Ich glaube, dass es eine Herausforderung für die
Wissenschaft und eine Herausforderung für die Politik ist, sich hier
sorgfältigst Dinge zu überlegen, die gewährleisten, dass die Anonymität nicht
untergraben wird, wenn wir sie den Frauen versprechen, die aber eine
Begleitstudie sicherstellen, wo wir durch gute Fragebögen, narrative Interviews
und in guter Absprache mit dem Personal erheben, warum Frauen kommen, um anonym
zu entbinden, welche Konfliktfelder für das Personal entstehen, wie es mit dem
Kind weitergeht, wie man die Frauen stützen kann und welche Möglichkeiten
anderer Problemlösungen als die anonyme Geburt man offerieren kann.
Da mache ich jetzt noch einen Klammerbegriff: Wenn
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