Landtag,
19. Sitzung vom 10.07.2008, Wörtliches Protokoll - Seite 14 von 49
offensichtlich geworden und da hat man sich schlicht und ergreifend in Neuwahlen geflüchtet, meine Damen und Herren!
Aber es gibt ja zweifelsohne auch einen
psychologischen Grund für diese Neuwahlen, für diesen Koalitionsbruch. Der Herr
Molterer hat ja durchaus das bestätigt, was wir seit vielen Monaten befürchten:
Die ÖVP will schlicht und ergreifend die Neuwahlen, weil sie der Meinung ist,
dass sich die Österreicherinnen und Österreicher am 1. Oktober 2006 geirrt
haben! Bis heute ist einfach - und insofern war das ja wirklich ein echter Freud´scher
Versprecher, der Mastermind dahinter, eben Wolfgang Schüssel, der ja bereits
Erfahrungen mit solchen Koalitionsbrüchen hat. Er sieht natürlich auch sein
gesamtes Erbe in Gefahr, ein Erbe, das zu mehr Armut geführt hat, das zu mehr
Verteilungsungerechtigkeit in diesem Land geführt hat und das haben ja auch die
internationalen Kommentatoren immer wieder wahrgenommen. Zum Beispiel schreibt
die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ am Dienstag: „Der Altbauer lässt einmal
mehr den Jungbauern den Hof nicht übernehmen."
In Wirklichkeit hat sich die ÖVP einfach nie an den
Gedanken gewöhnt, dass sie im Oktober abgewählt wurde. Abgewählt wurde auf
Grund einer unsozialen Politik. Abgewählt wurde auf Grund einer Politik, die zu
Rekordarbeitslosigkeit geführt hat, die zu Spitzenabgabequoten geführt hat, die
zu geringsten Investitionsquoten geführt hat, zu geringen Forschungsquoten
geführt hat. Dafür wurde sie abgewählt. Das wollte sie nicht zur Kenntnis
nehmen und sie versucht einfach jetzt mit diesen Neuwahlen tatsächlich, diesen
Fehler der Wählerinnen und Wähler zu korrigieren. Aber ich kann Ihnen sagen,
meine Damen und Herren, sie wird sich täuschen! (Beifall bei der SPÖ. – Abg Dr Herbert Madejski: Dass Sie sich nur
nicht täuschen werden! – Aufregung bei Abg Mag Wolfgang Jung.)
Erinnern wir uns doch noch einmal, was das alles
gebracht hat: Die Schüssel-ÖVP hat ja Österreich von 2000 bis 2006 im Großen
und Ganzen praktisch allein regiert. Eine anfangs überforderte FPÖ gab es auch,
dann eine FPÖ, die teilweise in der Regierung war und BZÖ geheißen hat, und
eine andere, die wieder in Opposition war, die zwar vorher dabei war, aber dann
nicht mehr dabei war. Tatsache ist, es war ein Spiel der ÖVP, sie hatte es sehr
einfach und im Endeffekt hat sie dieses Land tatsächlich allein regiert, denn
sie hat ihren Koalitionspartner zu dieser Zeit am ausgestreckten Arm verhungern
lassen. (Abg Dr Herbert Madejski: Das Gleiche passiert ja wieder!)
Was hat das Österreich gebracht? Ich habe schon
darauf hingewiesen: Arbeitslosigkeit, tausende Lehrstellen gestrichen, höhere
Selbstbehalte beim Arztbesuch, eine unsoziale Pensionsreform, weniger Pension,
weniger Pension für die Kleinstpensionisten, und so weiter, und so fort.
Es hat uns diese Zeit ja auch in Wien durchaus ganz
massiv betroffen, wenn wir daran denken: Streichung von Polizistinnen und
Polizisten, weniger Schülerlotsen, eine Verdreifachung der Sozialhilfebezieher
durch Herausdrängen aus der Arbeitslosenunterstützung in diesem Land. Eine
Politik schlicht und ergreifend gegen das rote Wien.
Und wenn hier die FPÖ immer wieder versucht, sich von
dieser Geschichte zu verabschieden (Aufregung bei der FPÖ.), dann kann
man sie nur daran erinnern: Diese Geschichte haben Sie wie viele andere schlicht
und ergreifend auch. Tun Sie jetzt nicht so, als ob Sie damals nicht dabei
gewesen wären! Sie sind für viele dieser Maßnahmen durchaus verantwortlich. Und
auch daran werden sich die Wählerinnen und Wähler erinnern, meine Damen und
Herren, seien Sie sich da nicht so sicher! (Aufregung bei Abg Mag Wolfgang
Jung.) Sie haben sich in diesem Kreis schon so oft verschätzt, Sie werden
sich auch hier verschätzen, meine Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ. – Abg Mag Wolfgang Jung: Das schmerzt!)
Wenn ich jetzt sage, die ÖVP hat das Wahlergebnis des
Oktobers nicht zur Kenntnis nehmen wollen, dann können Sie schon sagen: Na gut,
das sagt der Oxonitsch, das ist ja durchaus parteilich. Die Überheblichkeit,
die sich scheinbar in Teilen der ÖVP hier in diesem Zeitraum manifestiert hat
und dann nicht fortgesetzt werden konnte, weil es einen Koalitionspartner
gegeben hat, der tatsächlich auf Verteilungsgerechtigkeit, auf soziale
Fairness, auf Ausgewogenheit, auf Miteinander achtet - da kann man das schon so
hinnehmen, das ist halt parteilich. Aber wir brauchen uns ja nur die
„Süddeutsche Zeitung“ zum Beispiel vom Dienstag anzuschauen, die geschrieben
hat: „Die ÖVP wiederum war und ist von der Grandiosität ihrer Führungsarbeit in
den Jahren zuvor derart eingenommen, dass sie bis heute ihre Niederlage als
einen schweren Irrtum der Geschichte und einen Missgriff der Wähler ansieht.“ (Aufregung
bei der ÖVP.)
Das kann natürlich nicht gut gehen. In der
Psychologie nennt man so etwas ja „kreative Realitätswahrnehmung“, wenn man
etwas anderes wahrnimmt. Man kann aber auch sagen, das Verhalten ist ja
durchaus etwas, was sich bei der ÖVP eingeschlichen hat, was Historiker
wahrscheinlich mit dem „aufgeklärten Absolutismus“ erklären würden: Alles für
das Volk, aber nichts durch das Volk. (Heiterkeit bei der SPÖ.)
Und wenn wir bei diesem Thema sind, dann sind wir im
Endeffekt natürlich beim Thema der Europäischen Union und bei dem angeblichen
Thema unserer heutigen Sitzung, bei dem angeblichen Thema, worum es der ÖVP
jetzt bei diesen Neuwahlen geht.
Das SPÖ-Bundesparteipräsidium hat
in dieser Frage einen Beschluss gefasst, bei dem eindeutig - genauso eindeutig,
wie es der Bürgermeister im März dieses Jahres hier dem Wiener Landtag
mitgeteilt hat - ein klares und unmissverständliches Bekenntnis zur
Europäischen Union abgegeben wurde, zur Europäischen Union als Friedensprojekt,
zur Europäischen Union als Projekt der wirtschaftlichen Prosperität, aber auch
die klare Forderung nach einer sozialeren Europäischen Union. Und wenn das der
Punkt ist, der der ÖVP Kopfzerbrechen macht, dass einmal mehr wir den sozialen
Aspekt in dieser Europäischen Union stärker im Fokus der
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