Landtag,
28. Sitzung vom 26.11.2009, Wörtliches Protokoll - Seite 23 von 76
Aus österreichischer Sicht ist es außerdem zu begrüßen,
dass die Vertretung europäischer Interessen durch national gewählte Mandatare
gestärkt wird. Österreich wird in Zukunft 19 Abgeordnete stellen. Der
Vertrag bringt nicht nur mehr Demokratie durch die Stärkung des Europäischen
Parlaments, sondern auch durch die Einbeziehung der nationalen Parlamente in
den europäischen Entscheidungsprozess. Dazu sieht der Vertrag erstmals die
Möglichkeit europäischer Bürgerinitiativen vor.
Drittens: Regionale und lokale Gebietskörperschaften. Neben
all diesen Punkten stärkt der Vertrag von Lissabon insbesondere auch die Rolle
der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften. Aus kommunalwirtschaftlicher
Sicht sind vor allem nachfolgende Bestimmungen zu erwähnen:
erstmalige und ausdrückliche Anerkennung der lokalen und
regionalen Selbstverwaltung im Acquis Communautaire der Europäischen Union;
stärkere Berücksichtigung der finanziellen Auswirkungen, die
die neuen Legislativvorschläge für lokale und regionale Gebietskörperschaften
nach sich ziehen:
Klagerecht des Ausschusses der Regionen bei Verstoß
gegen die Subsidiarität beim Europäischen Gerichtshof;
Mitwirkungsrecht der repräsentativen Verbände und der
Zivilgesellschaft bei allen Aktivitäten der Europäischen Union;
Anerkennung des Prinzips der territorialen Kohäsion als
eine der Zielsetzungen der Union;
und nicht zuletzt die Einbeziehung der Kommunen in die
Subsidiaritätsprüfung und Stärkung des Subsidiaritätsprinzips.
Dazu als vierter Punkt: Die Europäische Union darf nicht
wahllos Gesetze erlassen, sondern sie muss die Grundsätze der Subsidiarität und
der Verhältnismäßigkeit beachten. Der Vertrag von Lissabon setzt nun eine
jahrelange Forderung der Kommunen um. Die EU darf nach dem neuen EU-Vertrag nur
dann tätig werden, wenn das zu erreichende Ziel nicht besser auf nationaler,
regionaler oder kommunaler Ebene erreicht werden kann. Diese Einbeziehung der
Regionen und Kommunen stellt einen weiteren Schritt in der Anerkennung der
Länder und Gemeinden auf europäischer Ebene dar.
Wie sieht die Umsetzung dieser Regelung nun in der Praxis
aus? Die nationalen Parlamente erhalten zwei Möglichkeiten, bei Verletzung der
Subsidiarität vorzugehen.
Erstens in Form einer Subsidiaritätsrüge: Die Präsidenten
des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission können zu einem
laufenden Rechtsetzungsverfahren Stellung nehmen, und sie erhalten zweitens ein
Klagerecht vor dem Europäischen Gerichtshof auf Einhaltung des
Subsidiaritätsprinzips, die so genannte Subsidiaritätsklage.
Die Aufgabe des Bundes, der Länder und der Gemeinden wird
es nun sein, entsprechende Strukturen zu schaffen, um diese Bestimmung nicht
nur im Bereich der Theorie zu belassen, sondern tatsächlich auch mit Leben zu
erfüllen.
Fünftens: Das soziale Europa. Besonders im Zusammenhang mit
den Wahlen zum Europäischen Parlament wurde vielfach nicht zu Unrecht
kritisiert, Europa habe das Herz nicht bei den Menschen. Es war daher höchst an
der Zeit, auch vermehrt soziale Werte in das Europäische Vertragswerk
aufzunehmen. Es ist deshalb zu begrüßen, dass innerhalb der Europäischen Union
ein Umdenkprozess stattgefunden hat. Freier Wettbewerb ist kein Ziel mehr an
sich, sondern das, was es immer schon sein sollte: ein Mittel zum Zwecke der
Steigerung des Wohlstandes der EU-Bürger. Die Verwirklichung eines
Binnenmarktes ist zwar nach wie vor ein Eckpfeiler europäischer Politik, aber –
und das ist die bemerkenswerte Neuerung im Reformvertrag – sie wird nunmehr
ausdrücklich um gleichwertige andere Ziele ergänzt: Vollbeschäftigung, soziale
Marktwirtschaft, Umweltschutz, Bekämpfung sozialer Ausgrenzung und
Diskriminierung, Gleichstellung von Männern und Frauen, Solidarität zwischen
den Generationen, Schutz der Rechte des Kindes, um nur einige zu nennen.
Natürlich hätte auch ich mir ein Mehr an Klarheit in diesem
Themenfeld gewünscht, aber das Erreichte ist auch nicht geringzuschätzen.
Zum Sechsten: Die Grundrechte. Eine aus meiner Sicht
wichtige Errungenschaft der Verhandlungen zum Reformvertrag stellt auch die
rechtliche Verbindlichkeit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union
dar, wenn auch mit dem erheblichen Wermutstropfen, dass sich einige wenige
EU-Mitgliedstaaten Sonderregelungen – Grundrechte nur teilweise anwendbar –
ausbedungen haben. Die Charta enthält neben den in der Menschenrechtskonvention
verankerten Grund- und Freiheitsrechten auch soziale und ethische Grundrechte
und eine Reihe von Bestimmungen, die für die Städte und Gemeinden von Bedeutung
sind.
Lassen Sie mich einige kurz erwähnen:
Laut Präambel der Charta ist die Organisation der Staatsgewalt auf
regionaler und lokaler Ebene ein ausdrücklicher Bestandteil der nationalen
Identität der Mitgliedsstaaten.
Artikel 34 schützt das Recht auf Zugang zu den Leistungen der
sozialen Sicherheit und zu den sozialen Diensten.
Und der Bereich, der mir als Wiener Landeshauptmann besonders am Herzen
liegt, die Daseinsvorsorge, wird in Artikel 36 als Grundrecht geschützt.
Auch dazu als Punkt 7: Die Leistungen der Daseinsvorsorge sind ein
zentrales Instrument der sozialen Integration. Sie zählen zu den Kernaufgaben
der Städte, Länder, auch der Regionen und Gemeinden Europas. Erstmals wird die
Bedeutung und der weite Ermessenspielraum der regionalen kommunalen Behörden
auf dem Gebiet der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse
im 9. Zusatzprotokoll zum Vertrag von Lissabon hervorgehoben.
Weitere Kernaussagen sind: Die Anerkennung der
Verschiedenartigkeit der Leistungen der Daseinsvorsorge bedingt durch
unterschiedliche geographische,
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