«  1  »

 

Landtag, 28. Sitzung vom 26.11.2009, Wörtliches Protokoll  -  Seite 28 von 76

 

Das ist höchste Zeit. Das hat nichts mit irgendeinem Urbanchauvinismus oder mit Rückfall in den Provinzialismus zu tun. Im Gegenteil! Wie ich schon sagte, werden 70 Prozent des EU-Rechts in den Städten umgesetzt, aber Städte hatten bisher überhaupt keine formellen Einflussmöglichkeiten in Europa, im Gegensatz zum Beispiel zu den Regionen. Ich halte dieses Regionen-Konzept ja für ein völlig veraltetes Konzept, zum Teil für ein zutiefst nationalistisches, aber das würde jetzt zu weit führen, das hier eingehend zu diskutieren. Wir freuen uns jedenfalls über die mit dem Lissabon-Vertrag steigende Bedeutung der Städte.

 

Auch die erstmalige explizite Anerkennung der kommunalen Selbstverwaltung im Lissabon-Vertrag ist ein wichtiger Schritt, vor allem auch für die Daseinsvorsorge und für die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse. Es wird – Sie haben es angesprochen – neue Möglichkeiten der formalen Einflussnahme geben, so etwa die Gesetzesfolgenabschätzung, wonach die Europäische Kommission eine Anhörungsverpflichtung gegenüber den Kommunen haben wird, welche finanziellen Auswirkungen ihre Gesetzesvorschläge für die Kommunen haben. Das heißt, das müssen wir auch strukturell hier in der Stadt, im Land Wien verankern. Die Kommunen müssen künftig in die Subsidiaritätsprüfung einbezogen werden.

 

Was wir nicht bekommen, was wir aber gar nicht so bedauern, ist das Klagerecht wie der Ausschuss der Regionen. Wir haben es indirekt ja durch den Ausschuss der Regionen. Vielleicht ergibt sich da in den nächsten Jahren noch ein Fortschritt.

 

Insgesamt wird es viele neue Aufgaben geben, die wir noch gar nicht richtig ermessen können. Ich glaube, Sie werden mir zustimmen, es ist auch juristisches Neuland, das wir da betreten. Wir werden es sein, das Land Wien wird es sein, das diese neuen Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten mit Leben erfüllen muss. Denn auf dem Papier steht viel, man muss erst schauen, dass es auch wirklich in der Praxis Relevanz bekommt.

 

Ich freue mich sehr, dass Sie angekündigt haben, dass wir diese Fragen auch möglichst rasch gemeinsam erörtern und gemeinsam besprechen wollen. Sie haben zwar in der letzten Geschäftsleitungssitzung des Städtebundes angekündigt, dass Sie in der nächsten Städtebundsitzung entsprechende strukturelle Vorschläge vorlegen werden, ich denke aber, dass das nicht nur auf der Ebene des Städtebundes besprochen werden sollte, sondern zumindest auch in diesem Haus, zumindest auch im Gemeinderat, zumindest in der Europakommission und selbstverständlich auch in einem etwaig einzurichtenden EU-Ausschuss, der ja wirklich ein Meilenstein wäre im Land Wien, in der Stadt Wien.

 

Eine kurze Bemerkung noch zur Daseinsvorsorge, weil sie uns auch ein wichtiges Thema ist. Ich habe angesprochen, dass die Daseinsvorsorge mit dem Lissabon-Vertrag tendenziell gestärkt wird. Ich betone, tendenziell, denn insgesamt werden sich die Fortschritte erst in der Praxis zeigen. Es stimmt zwar, dass jetzt verankert wird, dass Leistungen der Daseinsvorsorge generell von nationalen, regionalen und eben auch lokalen Behörden eigenverantwortlich erbracht werden können. Das ist ein Fortschritt, insgesamt aber ist die Dienstleistungsrichtlinie, die ja bald durch ein Dienstleistungsgesetz in Österreich umgesetzt wird, extrem liberalistisch.

 

Trotz einiger Fortschritte oder Verbesserungen, die in der Vergangenheit in dieser Richtlinie erzielt werden konnten, ist sie immer noch eine, die hier wirklich krass zeigt, was Liberalisierung auf Kommissionsebene für die Kommunen eigentlich heißt: Die Europäische Kommission verbockt etwas, und wir dürfen es ausbaden! Es gibt immer noch wesentliche Bereiche, die vom Geltungsbereich der Richtlinie immer noch nicht ausgenommen sind. Das sind wichtige Bereiche, und in diesen Bereichen befürchten wir schlimme Entwicklungen: Bildungsbereich, Kulturbereich, Umweltbereich, Postdienste, Pflege. Im Unterschied zu den Gesundheitsdienstleistungen ist Pflege explizit nicht ausgenommen vom Geltungsbereich der Richtlinie, Glücksspiele aber zum Beispiel schon. Da fragen wir uns, wo da vielleicht die Einflüsse oder die Lobbys waren, die so etwas wie Glücksspiele aus den Liberalisierungen ausnehmen, aber soziale Dienste wie zum Beispiel Pflege nicht.

 

Das heißt, wir sind, was die Auswirkungen dieser Richtlinie auf Österreich und auf Wien betrifft, sehr, sehr skeptisch. Wir sehen auch enorm viele Unklarheiten in dieser Richtlinie. Die Definitionen sind unklar, die Ausnahmen, wie gesagt, sind unklar. Wir sehen auch, dass die neue oder eigentlich schon seit 2007 bestehende Binnenmarktstrategie der Europäischen Kommission die Fortschritte in der Richtlinie zum Teil wieder aufhebt, indem zum Beispiel soziale und Gesundheitsdienstleistungen über diese Hintertür plötzlich wieder als wirtschaftliche Dienstleistungen klassifiziert werden.

 

Das heißt, es wird eigentlich der Europäische Gerichtshof in dieser Frage der öffentlichen Daseinsvorsorge eine wesentliche Rolle spielen. Es wird leider nicht das Europäische Parlament sein, es werden leider auch nicht die Kommunen oder regionalen oder nationalen Parlamente sein, sondern es wird der Europäische Gerichtshof sein, der hier eine Schlüsselrolle hat. Das ist nicht gut, denn der Europäische Gerichtshof entscheidet erfahrungsgemäß sehr wirtschaftsfreundlich. So ist zum Beispiel auch in der Frage der Definition, was werden Gesundheitsdienstleistungen sein, nichts Positives zu erwarten.

 

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal anmerken, dass es eigentlich die Grünen im Europaparlament waren, die sich immer und glaubwürdig und massiv gegen Liberalisierungen der öffentlichen Daseinsvorsorge ausgesprochen haben und die auch Nein gesagt haben zu dieser Dienstleistungsrichtlinie.

 

Das haben Sie nicht, liebe Kollegen von der ÖVP und Ihre Kollegen und Kolleginnen im Europaparlament. Sie waren von Anfang an ganz euphorisch und haben gar nicht gesehen, dass es irgendeinen Handlungsbedarf bei sozialen Diensten geben könnte. Auch Ihr Kollege Karas hat sich in entsprechender Weise immer wieder

 

«  1  »

Verantwortlich für diese Seite:
Stadt Wien | Geschäftsstelle Landtag, Gemeinderat, Landesregierung und Stadtsenat (Magistratsdirektion)
Kontaktformular