Landtag,
33. Sitzung vom 24.06.2010, Wörtliches Protokoll -
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weiter stärken und mit einer Stimme sprechen. Klar,
deutlich und direkt, nicht nur durch die neu geschaffene Institution des hohen
Vertreters, gewissermaßen eines EU-Außenministers, der die gemeinsame Außen-
und Sicherheitspolitik der Europäischen Union weltweit vertritt, sondern auch
durch den Präsidenten des Europäischen Rates, der dafür Sorge zu tragen hat,
dass die Europäische Politik der Regierungen effektiver koordiniert wird. Auch
die Ausdehnung der Mehrheitsbeschlüsse im Ministerrat trägt zu einer Erhöhung
der Handlungsfähigkeit bei.
Zweitens: Mehr Demokratie. Institutionelle
Verbesserungen betreffen aber auch das Europäische Parlament. Es erhält beinahe
in allen Bereichen der gemeinschaftlichen Gesetzgebungen ein
Mitentscheidungsrecht. Dadurch wird dem seit Jahren bemängelten
Demokratiedefizit der EU Rechnung getragen. Österreich wird in Zukunft 19
Abgeordnete stellen. Der Vertrag bringt nicht nur mehr Demokratie durch die Stärkung
des Europäischen Parlaments, sondern auch durch die Einbeziehung der nationalen
Parlamente in den europäischen Entscheidungsprozess. Dazu sieht der Vertrag
erstmals die Möglichkeit Europäischer Bürgerinitiativen vor.
Drittens: Hinsichtlich der regionalen und lokalen
Gebietskörperschaften ist zu sagen, dass neben all diesen Punkten der Vertrag
von Lissabon insbesondere auch die Rolle der lokalen und regionalen
Gebietskörperschaften stärkt. Aus kommunal-wirtschaftlicher Sicht sind
beispielsweise nachfolgende Bestimmungen zu erwähnen: Erstmalige und
ausdrückliche Anerkennung der lokalen und regionalen Selbstverwaltung im Acquis
communautaire der EU, Klagerecht des Ausschusses der Regionen bei Verstoß gegen
das Subsidiaritätsprinzip im Europäischen Gerichtshof und nicht zuletzt die
Einbeziehung der Kommunen in die Subsidiaritätsprüfung und Stärkung des
Subsidiaritätsprinzips damit.
Viertens: Das soziale Europa. Es ist zu begrüßen,
dass innerhalb der Europäischen Union ein Umdenkprozess stattgefunden hat.
Freier Wettbewerb ist kein Ziel mehr an sich, sondern das, was es immer schon
sein sollte, ein Mittel zum Zweck der Steigerung des Wohlstandes der EU-Bürger.
Die Verwirklichung eines Binnenmarktes ist zwar nach wie vor ein Eckpfeiler
Europäischer Politik, aber - und das ist die bemerkenswerte Neuerung im
Reformvertrag - er wird nunmehr ausdrücklich durch gleichwertige andere Ziele
ergänzt: Durch Vollbeschäftigung, soziale Marktwirtschaft, Umweltschutz,
Bekämpfung sozialer Ausgrenzung und Diskriminierung, Gleichstellung von Männern
und Frauen, Solidarität zwischen den Generationen, Schutz der Rechte des
Kindes, um nur einige zu nennen.
Fünftens: Die Grundrechte. Eine aus meiner Sicht
wichtige Errungenschaft stellt auch die rechtliche Verbindlichkeit der Charta
der Grundrechte der Europäischen Union dar, wenn auch mit dem erheblichen
Wermutstropfen, dass sich einige wenige EU-Mitgliedsstaaten Sonderregelungen
ausbedungen haben.
Sechstens: Die Leistungen der Daseinsvorsorge sind
ein zentrales Instrument der sozialen Integration. Sie zählen zu den
Kernaufgaben der Städte, Länder, aber auch der Regionen und Gemeinden Europas.
Erstmals wird die Bedeutung des weiten Ermessensspielraumes der regionalen und
kommunalen Behörden auf dem Weg der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse im nunmehrigen
26. Zusatzprotokoll zum Vertrag von Lissabon hervorgehoben.
Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Herr
Abgeordneter, all die angeführten und im Vergleich mit der Rechtssituation vor
dem 1. Dezember 2009 durchaus als Marksteine zu bezeichnenden
Errungenschaften des Vertrages von Lissabon wären bei einer Aufhebung desselben
Makulatur. Nicht zu vergessen die negativen wirtschaftlichen Folgen für Wien
und die Europaregion, die ein derartiges Szenario durch den Verlust an
Rechtssicherheit für den Wirtschaftsstandort, die Unternehmen, aber auch die
Bürgerinnen und Bürger nach sich zöge.
Lassen Sie mich das in konkreten Zahlen ausdrücken:
Zwei Drittel des Exportvolumens von Wiener Unternehmen werden mit den
Mitgliedsstaaten der Europäischen Union abgewickelt. Ein Stillstand durch
Nichtweiterentwicklung der Institutionen, wie es der Vertrag von Lissabon unter
anderem auch vorsieht, und dann weitergedacht ein Stillstand beziehungsweise
Handlungsunfähigkeit der Union mit einem potenziellen Infragestellen der EU an
sich, würde mit einem Schlag ein Exportvolumen von über
100 Milliarden EUR und damit tausende Arbeitsplätze in Wien und
darüber hinaus gefährden. Die Forderung nach dem Rückschritt und damit ein Inkaufnehmen
des potenziellen Auseinanderdriftens Europas ist gerade in Zeiten einer
weltwirtschaftlichen Krise ein Anschlag auf den Wirtschaftsstandort Wien, den
Wirtschaftsstandort Österreich und den Wirtschaftsstandort Europa. Weiters
hätte eine Aufhebung des Vertrags von Lissabon nicht nur gravierende negative
Auswirkungen für Österreich, sondern würde die Handlungsfähigkeit der gesamten
Europäischen Union wohl massiv gefährden. Mit anderen Worten, alle bisherigen
Anstrengungen zur Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise wären damit
hinfällig. Gerade in wirtschaftlich turbulenten Zeiten ist dabei ein hohes Maß
an Vertrauen in stabile politische und rechtliche Rahmenbedingungen notwendig,
die mit dem Vertrag von Lissabon geschaffen wurden. Jede negative Beeinflussung
dieser Rahmenbedingungen ist daher gerade in der gegenwärtigen Situation, in
der es gilt, solidarisches Handeln gegenüber dem europäischen Einigungswerk und
der gemeinsamen Währung unter Beweis zu stellen, unter allen Umständen zu
vermeiden. Einmal mehr hat der österreichische Verfassungsgerichtshof hier
weise entschieden. (Beifall bei der SPÖ.)
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