Landtag, 4. Sitzung vom 01.04.2011, Wörtliches Protokoll - Seite 48 von 49
Herr Jung, ich habe immer gehofft, dass Sie vielleicht ein bisschen menschlicher werden, dass Sie in Ihrer Rhetorik ein bisschen besser werden, aber Sie haben vorhin von diesem Übel, das es da gibt, gesprochen. Sie haben diese Menschen als ein Übel bezeichnet. (Abg Nurten Yilmaz: Landplage!) Nehmen Sie zur Kenntnis, dass Sie mit dieser Rhetorik und mit dieser Einstellung eine Gesinnung vertreten, die ich immer wieder als solche bezeichnen werde und die in der Geschichte einmal gescheitert ist. Lesen Sie einmal andere Bücher, sehen Sie Menschen als Menschen und verunglimpfen Sie Menschen nicht! – Danke. (Beifall bei GRÜNEN und SPÖ.)
Präsident Prof Harry Kopietz: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abg Dr Stürzenbecher. Ich erteile es ihm.
Abg Dr Kurt Stürzenbecher (Sozialdemokratische Fraktion des Wiener Landtages und Gemeinderates): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen!
Ich werde versuchen, wieder etwas Sachlichkeit in die Debatte zu bringen, auch insofern, als wir es mit einem sehr differenziert auftretenden Phänomen zu tun haben. Auf ein differenziert auftretendes Phänomen müssen wir differenziert reagieren. Hier ist Schwarz-Weiß-Denken sowohl in die eine als auch in die andere Richtung nicht angebracht.
In diesem Sinn haben wir auch die Gesetzeslage in Wien geschaffen, weil wir es hier mit einer Gratwanderung zu tun haben, bei der man sozusagen auf der einen Seite dieses Grates abstürzen würde, wenn man unmenschlich gegen Arme vorgeht. Das wollen wir sicher nicht, und der Bürgermeister hat heute ganz deutlich ausgedrückt, dass wir mit unserem Gesetz sicher nicht gegen arme Menschen vorgehen, sondern dass wir die organisierte Kriminalität bekämpfen, dass wir die Ausbeutung von Menschen bekämpfen. Und ich glaube, dazu kann man sich wirklich mit gutem Gewissen bekennen.
Ich meine, dass es so ist – das wissen wir von der Polizei –, dass es tatsächlich in hohem Ausmaß Personen gibt, die aus anderen Ländern, aus osteuropäischen Ländern kommen, um hier Bettler zu missbrauchen und sich selbst zu bereichern, während die Bettler kaum etwas davon haben.
Dieses Phänomen zu bekämpfen, ist uns ein Anliegen. Dazu haben wir auch die Gesetzeslage geschaffen und haben, nachdem vorher die anderen Parameter allein nicht ausgereicht haben, zusätzlich zu aggressiv, aufdringlich, Betteln mit Kindern, organisiert eben voriges Jahr noch den Begriff gewerbsmäßig aufgenommen.
Die Kollegin Yilmaz hat schon ausgeführt, dass 56 Fälle von gewerbsmäßigem Betteln geahndet worden sind. Noch mehr waren es bei aufdringlichem Betteln, da waren es 78. Also das sind die Fälle, die am häufigsten vorkommen.
Ich meine, dass die präventive Wirkung natürlich die wichtigste ist und dass dadurch, dass gewerbsmäßiges Betteln verboten ist, natürlich sehr viele Leute abgehalten werden, aus anderen Ländern nach Wien zu kommen, um praktisch die Probleme, die es dort gibt, hierher zu importieren. Das ist genau das, was wir nicht wollen.
Auch unsere Sozialarbeiter, die in diesen Ländern ja teilweise unterstützend tätig sind, haben uns gesagt, es ist wichtig, soweit wir es können – wir können natürlich nicht ein Übermaß an Budget dafür ausgeben, aber soweit wir es als Stadt Wien können –, dort zu helfen und dort die Probleme zu lösen, aber nicht die Probleme von dort zu uns nach Wien zu importieren. Das ist sicher nicht das, was wir wollen. Das würde erstens die Problemlösung nicht verbessern, zweitens wäre es natürlich auch unsachlich.
In dem Sinn ist das Gesetz, das seit ungefähr einem Jahr gilt, erfolgreich. Herr Michael Lepuschitz, der sagt, dass es wirklich wesentlich weniger Bettler auf den Straßen gibt, wurde schon zitiert, und ich meine auch, dass die Bettelei ja weder verteufelt werden darf noch idealisiert werden soll. Das ist auch ganz wichtig. Wir haben verschiedenste Phasen in der Kulturgeschichte der Menschheit, wo Bettelei etwas Selbstverständliches und durchaus eher Positives war.
Vor 2 000 Jahren war es ja grundsätzlich so, wer arm war, ist verhungert, und es war ein großer Fortschritt, dass, auch durch den Einfluss des Christentums, sozusagen die Mildtätigkeit dazu geführt hat, dass manche Menschen gerettet wurden, die sonst verhungert wären.
Der Islam hat im Jahre 622 dann mit der fünften Säule sicher auch Wesentliches geleistet, indem die Menschen verpflichtet werden, einen Teil ihres Einkommens den Armen zu geben. Das war aber schon fast mehr als die Mildtätigkeit, das war schon fast eine gesetzliche Anordnung.
Und bis ins 18., 19. Jahrhundert war es so, dass es in allen Gesellschaften immer so Arme gegeben hat, dass es für viele ohne Betteln nicht möglich gewesen wäre zu überleben.
Aber wie Karl Marx es ausgedrückt hat: Durch die Industrialisierung haben wir die Chance, von der Vorgeschichte der Menschheit in die eigentliche Geschichte der Menschheit einzutreten. Und wir produzieren so viele Güter auf der Welt, dass an sich Armut überhaupt nicht notwendig wäre, wenn es gerecht verteilt wäre.
Das heißt, es ist uns in Westeuropa und besonders in Österreich und in Wien gelungen, an sich Armut, die hier entsteht, weitestgehend zu beseitigen. Und es ist so, dass es natürlich, wenn man einen Sozialstaat schafft, nicht mehr notwendig ist zu betteln. Ganz wenige Fälle werden vielleicht immer hinausfallen und die sollen individuell natürlich betteln können, aber als wirkliches Phänomen gibt es das nicht.
Aber das Problem ist, dass es von Menschen aus extrem armen Ländern – Moldawien wurde vom Bürgermeister genannt – natürlich Versuche gibt, hierherzukommen, und die kommen eben oft im Rahmen, wie der Herr Bürgermeister es auch gesagt hat, der organisierten Kriminalität. (Beifall bei der FPÖ.) In dem Sinn ist es so, dass wir nicht umhinkommen, hier zu reagieren, und zwar richtig darauf zu reagieren. In dem Sinn, meine ich, haben wir eben sehr genau differenziert, dass wir nicht das Betteln verbieten, dass wir nicht gegen die Armen
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