Landtag, 11. Sitzung vom 27.01.2012, Wörtliches Protokoll - Seite 36 von 68
die neuen Vergaberichtlinien, seien das die Konzessionen, seien das die Beihilfen. Wir haben erst diese Woche im öffentlichen Verband Wirtschaft und Gemeinwirtschaft mit allen Parteien eine gemeinsame Diskussion geführt, was da auf uns zukommt. Das werden wir auch in Koordinierung mit dem Bundesrat tun. Wir werden das auch im EU-Ausschuss besprechen, ob nicht da einmal das neu geschaffene Instrument der Subsidiaritätsrüge, der Subsidiaritätsprüfung auch in Frage käme, ohne dieses Instrument überbewerten zu wollen. Ich denke, es ist dringlich. Wir müssen wirklich jetzt handeln, weil dieses Binnenmarktpaket stellt die Weichen für die nächsten 20 Jahre, ob und in welcher Form was in Europa liberalisiert und dereguliert wird. Wenn wir das nicht wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann brauchen wir ein gemeinsames Lobbying für die Daseinsvorsorge in Europa auf nationaler Ebene und eben auch hier und in den Städtenetzwerken. (Beifall von Abg Prof Dr Elisabeth Vitouch.) - Sissi will applaudieren.
Darum bin ich auch der Meinung, dass es dieses Rederecht, das wir heute haben, unbedingt auch im Nationalrat geben sollte, denn ganz wichtige Gesetze, die auch die öffentliche Auftragsvergabe und die Dienstleistungen betreffen, werden natürlich dort beschlossen. Ich verstehe nicht, warum vor allem eine Partei dieses Rederecht im Nationalrat verhindert. Auch da werden wir gemeinsam Lobbying machen.
Lassen Sie mich kurz zu zwei Themen, die den Grünen wichtig sind und heute schon angesprochen worden sind, besonders Stellung nehmen. Das eine ist die Wirtschafts- und Finanzkrise, die natürlich auch eine Sozial- und Verteilungskrise ist, und das andere ist die Frage der Demokratie in Europa. Ich werde auch gemeinsam mit meinen KollegInnen der Sozialdemokratischen Fraktion hier jetzt zwei Anträge einbringen. Wir haben noch mehr Anträge heute. Darauf werden meine NachrednerInnen noch zu sprechen kommen.
Dieser Ausnahmezustand, in dem sich Europa befindet, von dem Ulrike Lunacek gesprochen hat, denke ich mir, stellt uns alle gemeinsam vor eine große Frage, nämlich: fundamentale Reformen der EU oder Zerfall der EU? Ich denke, das kann man hier und heute mit Fug und Recht so sagen, denn ich habe den Eindruck, dass jeder EU-Gipfel mehr und mehr den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt der EU mehr und mehr gefährdet. Die Menschen gehen auf die Straße und die europäische Rechte reibt sich europaweit die Hände. Das wollen wir nicht, meine Damen und Herren. Deshalb sind wir uns, glaube ich, darin einig, dass das EU-Krisenmanagement, so wie es bisher gelaufen ist, komplett gescheitert ist. Die neoliberalen Kräfte, das muss man hier klar sagen, haben die Krise in Europa überdauert. Die Ursachen der Krise werden uns als Lösung der Krise verkauft, die berühmten drei Ungs, Deregulierung, Flexibilisierung, Privatisierung, Rückbau des Staates in Kombination mit blinder Sparwut. Die Kosten der Krise tragen nicht die Krisenverursacher - da lasse ich das „-Innen“ jetzt einmal weg -, sondern die breite Masse der Bevölkerung.
Um einen schon oft strapazierten Vergleich zu bemühen, ich gebe es zu, statt die Brandursachen zu bekämpfen, deregulierte Finanzmärkte, Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen, wird auch noch mit einem sogenannten europäischen Stabilitätsmechanismus und einer Verschärfung des sogenannten Stabilitäts- und Wachstumspaktes Öl ins Feuer gegossen, die eigentlich nichts anderes sind, als ein europäischer Destabilisierungsmechanismus und ein europäischer Instabilitäts- und Rezessionspakt.
Man kann nicht oft genug betonen, was nicht wir GRÜNEN sagen, sondern Wirtschaftswissenschaftler und Wirtschaftswissenschaftlerinnen europaweit. Da braucht man aber gar kein Wirtschaftswissenschaftler zu sein, um zu wissen, dass gleichzeitiges blindes Sparen ganz Europa und nicht nur einzelne Länder - wir haben es schon geschafft, Griechenland in die Pleite zu treiben - in die Rezession, in die Pleite treiben wird. Ich sage es ehrlich, der Vorschlag der Schuldenbremse in der Verfassung hat irgendwie noch eines draufgesetzt und ist, glaube ich, kontraproduktiv.
Wir erleben einen enormen Rückschritt in Europa. Das tut mir als Europabefürworterin wirklich enorm weh. Ich denke, wir erleben gerade einen Verrat an der europäischen Idee, weil mühsam erkämpfte Fortschritte mit dem Lissabon-Vertrag, soziale Rechte, Europa 2020, erstmals mit Armutsbekämpfung festgeschrieben, jetzt durch die Hintertür, durch diese Wirtschafts- und Finanzpolitik der EU, die komplett am Europäischen Parlament vorbeigeht, gefährdet werden. Das Wort Rückschritt ist wahrscheinlich untertrieben, wir erleben eine Gefährdung der europäischen Demokratie an sich. Das Vorbeigehen der gesamten Wirtschafts- und Finanzpolitik hat massive Auswirkungen nicht nur auf die Rahmenbedingungen der Städte und Wien, sondern insgesamt auch auf die Sozialpolitik, die Beschäftigungspolitik in Europa. Dieser Rettungsschirm und der Fiskalpakt, die beschlossen wurden, gehen vollkommen am gesamten europäischen Recht vorbei, nicht nur am Europäischen Parlament. Es sind zwischenstaatliche Konstruktionen. Parallelstrukturen, völkerrechtliche Verträge, wo die Frage ist: wie einklagbar? (Beifall von Abg Mag Wolfgang Jung.)
Wir bringen heute zum Beispiel einen Antrag ein, weil es ein erster Schritt zur Stärkung der europäischen Institutionen, die so wichtig sind, ist, nämlich einen Antrag auf Schaffung einer europäischen Rating-Agentur statt der jetzt Marktmacht zeigenden amerikanischen Rating-Agentur. Wir wollen, dass eine europäische Rating-Agentur geschaffen wird, die unabhängig ist und die - und das ist wohl das Wichtige daran - am Gemeinwohl orientiert ist, nicht nur an den fragwürdigen Kriterien, wie Wirtschaftswachstum und wie Staaten jetzt bewertet werden, wie es derzeit passiert. Die OECD hat da zum Beispiel recht fortschrittliche Vorschläge, nämlich das BIP-Wachstum, also das Wirtschaftswachstum, anders zu bewerten als jetzt, nämlich viel breiter zu definieren, auch soziale Kriterien, Verteilungskriterien, Umweltschutzstandards eines Landes zum Beispiel, in die Bewertung des Wirtschaftens eines Staates hineinzunehmen, also ein breiter Ansatz einer nachhaltigen Wirtschaftspolitik. Das verstehen wir unter am Gemeinwohl
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