Landtag, 14. Sitzung vom 28.06.2012, Wörtliches Protokoll - Seite 17 von 38
so, dass sich sehr viele Unionsbürger, die hier wohnen, sehr heimisch fühlen. Sie werden nicht bei Nationalratswahlen mitwählen können. Das ist nach wie vor und nach dem Willen der Europäischen Union Staatsbürgern vorbehalten. Das ist auch okay so. Wenn wir nur auf Grund unserer verfassungsmäßigen Besonderheit, dass wir eben Gemeinde und Land sind, wobei wir in erster Linie Gemeinde sind und das unsere ganz großen Hauptkompetenzen sind, ist deshalb mein Appell an die ÖVP nach wie vor, hier mitzugehen. Es ist einfach mehr Demokratie, wenn mehr Menschen mitbestimmen können. Wenn die Gründe, die dagegen sprechen, wirklich eher vorhandene juristische Gründe sind und wenn es einen politischen Willen dafür gibt, dass wir die Demokratie ausweiten, dann sollten wir das als Zeichen der europäischen Solidarität tun. Aber einfach auch, weil es richtig ist. Warum sollen diese 108 000 EU-Bürger nicht den Gemeinderat wählen? (Abg Mag Johann Gudenus, MAIS: Solidarisch sein!) Dafür gibt eine ...
Präsident Prof Harry Kopietz (unterbrechend): Herr Abgeordneter, bitte zum Schlusssatz kommen!
Abg Dr Kurt Stürzenbecher (fortsetzend): Deshalb spreche ich mich dafür aus, wir sollten mehr Demokratie wagen. Wir sollten den EU-Bürgern das Wahlrecht für den Gemeinderat ermöglichen und uns vor allem dafür einsetzen. Danke schön. (Beifall bei SPÖ und GRÜNEN.)
Präsident Prof Harry Kopietz: Als Nächster zum Wort gemeldet ist der Herr Abg Dr Aigner. Bitte, Herr Abgeordneter.
Abg Dr Wolfgang Aigner (Klubungebundener Mandatar): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Ich bin dem Herrn Kollegen Dr Stürzenbecher dankbar für seine rechtliche Klarstellung. Ich habe das B-VG umsonst mitgenommen. Aber die juristische Frage ist ja von den GRÜNEN völlig ausgeblendet worden. Man kann doch bei einer Volksbefragung, die jetzt auf dem Tisch liegt und die von über 150 000 Menschen gemäß der Stadtverfassung beantragt worden ist, nicht hergehen und sich hinter formaljuristischen Argumenten verstecken und sagen, die soll nicht stattfinden, die soll nicht durchgeführt werden. Und bei einem politischen Forum sagt man, ja, das ist die Verfassung, ganz egal, es wird ausgeblendet, dass Wien Bundesland und Stadtgemeinde in einem ist. Daher bedarf es einer bundesverfassungsgesetzlichen Änderung. (Beifall bei FPÖ und ÖVP.) Ihr politischer Wille ist das eine und die Rechtsgrundlagen sind das andere.
Zum Inhaltlichen: Es ist ein reines Ablenkungsmanöver. Fangen Sie doch einmal im eigenen Haus mit mehr Demokratie an und sorgen Sie dafür, dass das Verhältniswahlrecht in Wien gerechter wird, wobei ich Ihnen hier ganz ehrlich sage, ich bin hier ja nicht als großer SPÖ-Freund bekannt. Aber wenn ich mir anschaue, was uns diese rot-grüne und vor allem der grüne Teil dieser Regierung in den letzten zwei Jahren angetan hat, dann wäre ich fast dafür, der SPÖ zwei Bonusmandate zu geben, weil dann sind die Verhältnisse klar und Sie würden den Wienerinnen und Wienern sehr viel Kummer und Sorgen ersparen! (Beifall und Heiterkeit bei FPÖ und ÖVP.)
Aber zum Inhaltlichen mit den EU-Bürgern: Wenn Sie die Geschichte des Wahlrechtes, Sie haben es ja kurz skizziert, nachvollziehen, dann haben dort immer Menschen das Wahlrecht gefordert.
Das war zuerst einmal die bürgerliche Revolution 1848, die überhaupt dazu geführt hat, dass gewählt werden darf, der Übergang zur konstitutionellen Monarchie. Dann war es zuerst nur ein Männerwahlrecht, ein Zensuswahlrecht. Das hat man dann schrittweise ausgebaut, bis man dann zum demokratischen Standard gekommen ist. Es haben aber immer Staatsbürger eine Erweiterung des Wahlrechtes gefordert. Der letzte Schritt ist schon teilweise eher aus dem politischen Establishment gekommen, die Erweiterung war die Herabsenkung des Wahlalters auf 16 Jahre, über die man auch geteilter Meinung sein kann, aber okay. Auch da hat es zumindest von manchen Jugendorganisationen die Forderung gegeben.
Ich frage mich, wo sind die EU-Bürger, die das Gemeinde- und Landtagswahlrecht fordern? Ich kenne sie nicht. Es gibt keine Initiativen. Es demonstrieren keine EU-Bürger. Es gibt keine Mahnwache. Ich weiß nicht, ist das denen wirklich ein Anliegen? Es würden sich die Leute ja melden, wenn sie unbedingt wählen wollen. Daher ist eigentlich der Verdacht naheliegend, dass es Ihnen in erster Linie darum geht, zusätzliche Wählergruppen zu rekrutieren und deswegen wollen Sie das Wahlrecht aufmachen. (Beifall bei der FPÖ.)
Wo sind die Drittstaatsangehörigen, die unbedingt mitbestimmen wollen? Ich sehe sie nicht. Sie wollen zusätzliche Wählergruppen organisieren. Das passt dann auch gut mit der Staatsbürgerschaft, die ja wirklich ein Mitgliedschaftsverhältnis zu einem Staat darstellen soll und wo wir ja Jahrzehnte verschlafen haben, weil wir einfach auf Formalitäten nur Rücksicht genommen haben. Wer zehn Jahre da ist und unauffällig war, der braucht kein Wort, keinen Satz Deutsch können, der kriegt die Staatsbürgerschaft. Das ist ein bisschen besser geworden. Aber wir sind noch lange nicht dort, wo man sich auch wirklich mit dem Staat als solchen identifiziert. Und jetzt gehen Sie her und wollen noch die Staatsbürgerschaft, den Deutsch-Test und dann die Mittellosen auch und so, als ob wir nicht ohnehin genug Mittellose im Land sowieso hätten.
Im Endeffekt müssen Sie doch einsehen, die Kassen sind leer, das Sozialsystem ist an den Grenzen seiner Leistungsfähigkeit angelangt, jetzt kommt dann auch noch der ESM. Das heißt, wir geben den PIN-Code für unsere Bankomatkarte, wo das Konto eh schon überzogen ist, weiter. Wenn die dann sagen, her mit dem Geld, her mit dem Zaster, dann sind die Kassen noch leerer. Und Sie denken nur drüber nach, wie man noch mehr Leute in die Segnungen der nicht mehr finanzierbaren Leistungen bringen kann. (Beifall bei der FPÖ.)
Daher, Staatsbürgerschaft ist ein hohes Gut, Wahlrecht ist ein hohes Gut. Man muss Identifikation schaffen. Und solange hier nicht wirklich hunderte und tausende Menschen, die bei uns wohnen, das Wahlrecht
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