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Landtag, 15. Sitzung vom 01.10.2012, Wörtliches Protokoll  -  Seite 10 von 26

 

zehn Jahre in der Schweiz oder in Australien wohnt, ist er hier wahlberechtigt. Aber Menschen, die hier wohnen und da ihre Kinder in die Schule schicken, arbeiten gehen, Straßenbahn fahren und so weiter, sind dann nicht wahlberechtigt. Das aktuelle Wahlrecht schließt mehrere Hunderttausend Menschen vom Wahlrecht in Wien aus.

 

Das Entscheidende beim Wahlrecht ist zuerst schon einmal, wer überhaupt wählen darf. Das ist noch, bevor man die Bewertung vornimmt. Wer darf wählen? Welche Altersgruppen? Welche Geschlechter? Es war ja nicht immer so, aber seit 100 Jahren dürfen Männer und Frauen wählen. Mittlerweile sind auch 16-Jährige wahlberechtigt. Die nächste große Frage und der nächste große Demokratieschub ist: Nehmen wir alle Menschen, die hier wohnen, ernst und dürfen sie mitwählen? Beim Petitionsrecht übrigens, nicht nur Staatsbürger, Staatsbürgerinnen, nicht nur EU-BürgerInnen, sondern auch Drittstaatsangehörige. Alle, weil es alle betrifft, wenn ein Park gebaut wird, eine U-Bahn umgestellt wird, eine Schule irgendwo hinkommt. Das betrifft halt alle, die in Wien wohnen. Nicht so sehr trifft es diejenigen, die vor zehn Jahren nach Australien ausgewandert sind. Da verstehe ich Ihr Wahlrechtssystem nicht. Ich weiß auch nicht, wovor Sie sich fürchten. In Europa ist das üblich. Ich könnte Ihnen jetzt das kommunale AusländerInnenwahlrecht in Europa aufzählen: Dänemark 1974, Schweden 1975, Finnland 1976, Irland 1974, Holland 1985. Überall gibt es das.

 

Es gibt ganz wenige Städte in Europa, in denen das Wahlrecht für die EU-BürgerInnen noch nicht ist. Das sind Berlin, Bremen, Hamburg (Abg Armin Blind: Alles Länder, Herr Kollege! Stadtstaaten!) und Wien. In allen anderen schönen Städten, Paris, London, Stockholm, und wie sie alle heißen, Rom, Madrid, Barcelona und überall, dürfen Sie, wenn sie dorthin auswandern und ein paar Jahre dort wohnen, mitstimmen. Das hätten wir gerne in Wien. Dafür kämpfen wir in Wien.

 

Ich habe jetzt leider den Ausführungen von StR Juraczka nicht entnehmen können, ob die ÖVP der Meinung ist, dass EU-BürgerInnen in Wien wahlberechtigt sein sollen oder nicht. Sagen wir es anders, weil ich höre beide Positionen aus der Volkspartei. Aber das macht nichts. Man muss nicht immer gleich von Anfang an bei einer Diskussion festgelegt sein. Aber könnte nicht die ÖVP einen Vorstoß bei der Bundes-Volkspartei machen, solange sie noch in dieser Zahl im Nationalrat sitzt und versuchen, dort gemeinsam mit SPÖ und GRÜNEN das absolut wasserdicht zu machen? Ich gebe zu, es ist eine umstrittene Rechtsentscheidung. Für Drittstaatsangehörige ist es nicht möglich. Es ist eine grüne Position für Drittstaatsangehörige. Das geht nicht. Bei den EU-BürgerInnen gibt es unterschiedliche Rechtsauffassungen. Aber die unterschiedlichen Rechtsauffassungen wären schnell ausgeräumt, wenn die Volkspartei den Schritt ins 21. Jahrhundert macht und nicht wie in der Bildungs- und Verkehrspolitik auch da Retropolitik macht und weiterhin von irgendwelchen Proporzregierungen träumt. (Abg Dkfm Dr Fritz Aichinger: Wer hat den Notariatsakt unterschrieben?)

 

Wir haben einen Vorstoß gemacht. Wir haben als GRÜNE und SPÖ gemeinsam einen Vorstoß gemacht, Abschaffung der nichtamtsführenden Stadträte und Stadträtinnen und Reduzierung der 46 stellvertretenden BezirksvorsteherInnen auf die Hälfte, auf 23. Der klassische Proporz, den es gegeben hat oder immer noch in der Landesregierung gibt, den es auch in Niederösterreich gibt. In Niederösterreich haben zwei Parteien versucht, diesen Proporz abzuschaffen, die ÖVP und die GRÜNEN. In Wien probieren zwei Parteien, den Proporz abzuschaffen, die GRÜNEN und die Sozialdemokratie. (Heiterkeit bei Abg Mag Wolfgang Jung.) Was dabei auffällt - es fällt auch dem Herrn Jung auf -, ist, die GRÜNEN sind beide Male dabei gewesen, sind aber das eine Mal in Niederösterreich in Opposition und da in der Regierung. (Abg Mag Wolfgang Jung: Dort, wo Sie nichts zusammenbringen, sind Sie dafür!) Für die Abschaffung des Proporzes und der nichtamtsführenden Stadträte waren wir auch, als wir die Funktion inne hatten, schön stringente Diskussion. Als Maria Vassilakou nichtamtsführende Stadträtin war, war sie der Meinung, dieser Proporz gehört abgeschafft. Als ich nichtamtsführender Stadtrat war, war ich der Meinung, der Proporz gehört abgeschafft. Das kann man alles in Interviews nachlesen. (Abg Mag Dietbert Kowarik: Ein bisschen anders war das schon!)

 

Und jetzt höre ich bei ÖVP und FPÖ, den Proporz müssen wir unbedingt halten, weil das sind ja ihre Funktionen. Das ist auch ein Demokratieverständnis, aber nicht meines. Ich glaube, es gibt entweder Alleinregierungen oder Koalitionen, die regieren, und die anderen machen die Oppositionsarbeit, wenn sie die Oppositionsarbeit denn machen wollen. Diesen Vorstoß können wir leider auch wieder nicht alleine machen, weil wir für die Abschaffung der nichtamtsführenden StadträtInnen eine Zweidrittelmehrheit auf Bundesebene brauchen. Das blockieren sowohl die Freiheitlichen als auch die Österreichische Volkspartei, weil sie an dem Job hängen. Das könnten Sie sich auch einmal überlegen, ob Sie das tatsächlich so meinen. Sind sie für die Einführung des Proporzes in allen Bundesländern? Es haben ja doch einige geschafft, das abzuschaffen. (Abg Mag Johann Gudenus, MAIS: Herr Kollege, wer hängt an Green Jobs?) Sind sie der Meinung von Herrn Pröll in Niederösterreich, der gerade Wahlkampf führt und der Meinung ist, das soll es nicht geben? Nämlich hier auch nicht. Er hätte das auch gern abgeschafft. Oder haben Sie da eine singuläre Meinung innerhalb der Volkspartei, die heißt, in Wien brauchen wir den Proporz, weil sonst kommen wir nie in die Landesregierung, also wollen wir wenigstens nichtamtsführend in der Regierung sitzen?

 

Ich persönlich bin nach wie vor der Meinung, dass man dafür kämpfen muss, dass alle Stimmen auf allen Ebenen, wo immer Wahlen stattfinden, gleich viel wert sind. Ich muss zur Kenntnis nehmen, dass das hundertprozentig umgesetzt ist genau bei einer Wahl, wo wir alle zuständig sind, das ist die grüne Landesversammlung, die am 21. Oktober stattfindet. Dort sind alle wahlberechtigt. (Abg Dkfm Dr Fritz Aichinger: Und beim Bundespräsidenten auch!) Alle anderen machen Regeln, wie sie halt besser passen. Da ist man halt gegen den Proporz

 

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