Landtag, 40. Sitzung vom 02.07.2015, Wörtliches Protokoll - Seite 17 von 53
Präsident Prof Harry Kopietz: Zu Wort gemeldet ist der Herr Abg Ellensohn. – Bitte, Herr Abgeordneter.
Abg David Ellensohn (Grüner Klub im Rathaus): Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Krieg, Hunger, Verfolgung sind alles Probleme, mit denen sich kein Einziger/keine Einzige in diesem Raum persönlich herumschlagen muss, im Sinne, dass wir selbst bedroht werden. Morgen gibt es auch keinen Krieg, niemand von uns verhungert und niemand von uns wird verfolgt. Aber vielleicht sollten Sie sich einmal kurz hineindenken, was das bedeutet und was Sie tun würden, wenn es so sein würde. Und jetzt sind Sie in der Situation, wo Sie sich dann überlegen: Bleibe ich da, verhungere ich, verhungert meine Familie, lassen wir uns ermorden oder gehen wir und versuchen etwas anderes? – Und das ist ein großer Teil der Migrationsbewegung, der Flüchtlingsbewegung, die wir im Moment haben. Und dann entscheiden Sie sich für Flucht, dann wissen Sie, dass Sie vielleicht im Mittelmeer ertrinken, denn das wissen auch diejenigen, die flüchten, dass das passieren kann. Also die Idee, ich setze mich in ein Boot, dann fahre ich nach Europa und dann komme ich irgendwohin und dann wohne ich schön in Wien, das ist nicht der Plan, und diese Menschen wissen auch haargenau, dass das so nicht läuft. Trotzdem machen sie es – weil sie die eigene Situation verbessern möchten.
Jetzt muss man auch sagen, die wollen sich ja nicht von 2 000 netto auf 4 000 netto verbessern, sondern da geht es um Leben und Tod! – Das sage ich ohne Pathos. Darum geht es. Die sterben, wenn sie bleiben, die verhungern, die werden umgebracht.
Abgesehen davon, dass jeder Mensch das Recht hat, seine eigene Situation zu verbessern, auch ohne diese dramatischen Fluchtgründe. Es ist doch okay, wenn jemand sagt, dort, wo ich bin, passt es mir nicht und ich will das verbessern. Die Menschheitsgeschichte lebt von diesen Bewegungen, immer war es so, immer. In Österreich geht man auch – das ist zwar im Verhältnis nichts – aus einer Gegend, wo es keinen Job mehr gibt, irgendwohin, wo es einen Job gibt. Jeder versucht, seine Situation übers Leben hinweg zu verbessern.
Das, was man zwischendurch hört, ist: Nein, du musst dich zufrieden geben mit dem, was du hast, auch wenn es nichts ist, und wenn man dir morgen den Schädel abschlägt, wenn du morgen verhungerst, wenn du im Mittelmeer ersäufst, dann ist das halt für dich so ausgesucht, gottgewollt oder sonst etwas! – Mehr ist nicht drin.
Viel zynischer geht es ja nicht. Es wird einem ja schlecht beim Zuhören. Wenn Menschen auf der Flucht sind, hat man sie zu unterstützen! Ganz ohne Emotion gehen die Themen natürlich nicht, denn ich frage mich auch umgekehrt, was denn mit Leuten passiert ist, die so völlig emotionslos, völlig problemlos, ohne Empathie, ohne Gefühl für andere Leuten sagen können, das steht denen alles nicht zu, mir ist es nicht nur wurscht, sondern die dürfen, die sollen nicht kommen! – Was ist denn da schiefgegangen in Ihrer Erziehung? Was ist denn passiert? Was haben Ihre Eltern Ihnen für Werte beigebracht? Was ist denn? Was machen Sie mit Ihren Kindern, bitte? Das ist ja unglaublich, dass man hinschauen kann und sagt, das passt so: Zaun rundherum, ersaufen lassen, sonst irgendwas. – Ich packe es nicht! Ich verstehe es nicht! Ich weiß nicht, wie man zu dieser Meinung kommen kann. (Beifall bei GRÜNEN und SPÖ.)
Und dann versucht man, es zu argumentieren: Die kriegen so viel Geld. – Dann werden Zahlen erfunden. Dann wird alles widerlegt. Dann wird hin und her gestritten. Wie viel bekommt denn einer, der im Zelt am Boden schläft? Das gibt es ja auch: eine Decke zum Draufliegen und zum Schlafen eine Decke zum Zudecken. Was bekommt der? Tausende Euros im Monat noch zusätzlich? – 40 EUR, nicht am Tag, im Monat! 1,30 EUR, 40 EUR kriegt er im Monat dazu. (Abg Mag Johann Gudenus, MAIS: Es geht nicht darum, was er bekommt, sondern was er kostet! Ihre Ahnungslosigkeit ist himmelschreiend!) Und was kann er dann damit? Prassen? – Und das, das muss man sich vorstellen, gönnen Sie jemandem nicht: Im Zelt auf dem Boden schlafen und 40 EUR im Monat. – Nein, das ist zu viel für einen Menschen, sagt die FPÖ. – Ich verstehe es nicht, ich verstehe es nicht!
Jetzt könnten wir uns aber zwischendurch dann natürlich auch wieder konzentrieren, denn Sie nehmen in dieser Debatte leider schon seit Jahrzehnten mittlerweile wahnsinnig viel Platz ein. Aber zum Glück gibt es auch das andere, es gibt auch das Österreich von Alberschwende und Neudörfl und Puchenstuben und wie sie alle heißen, die Bürgermeister und Bürgermeisterinnen. Und dankenswerterweise gibt es ein schönes Beispiel: In Puchenstuben sind, glaube ich, 17 Prozent der EinwohnerInnen Asylwerber und Asylwerberinnen. Das ist der höchste Anteil. Die schupfen das. Der Bürgermeister sagt, das ist nicht ganz problemlos. – Natürlich, das sind Aufgaben, aber er macht das, und das schon lange – und nicht mit ganz leichten Gruppen, es hat ja geheißen, die sind aus Tschetschenien –, und er ist mit einem Ergebnis von weit über 50 Prozent bestätigt worden. (Abg Heinz Hufnagel: Er ist mit 63 Prozent bestätigt worden!) – Das hätte ich jetzt nicht mehr genau gewusst, 63 Prozent, danke.
In Neudörfl funktioniert das, es sind zwei SPÖ-Bürgermeister, und in Alberschwende gibt es eine Bürgermeisterin der ÖVP. Dort gibt es sechs Flüchtlinge, und da hat sich der Pfarrer hinter die Flüchtlinge gestellt, auch die Bürgermeisterin. Da gibt es eine Telefonkette von 150 EinwohnerInnen, und wenn die Fremdenpolizei kommt und irrtümlich jemanden mitnehmen will, steht das ganze Dorf auf. Das ist auch Österreich. Das sollte man nicht vergessen, denn Sie vermitteln ja zwischendurch den Eindruck, weil es hier im Saal doch viele sind, nämlich über 20 Leute, als wenn das wahnsinnig wichtig wäre.
Österreich hat sehr viel mehr Herz und sehr viel mehr Hoffnung zu tragen, als die ÖVP glaubt. Das Ziel muss natürlich sein, dass wir in der Sprache genau sind und nicht die Wörter übernehmen. Ich sage es in Richtung aller, die es netter meinen, aber „Asylant“ ist halt schon ein Kampfbegriff in der Öffentlichkeit. Das kann man auch freundlicher sagen, mit Asylwerber. Wenn man das Wort Asylmissbrauch aufgreift und jeden Monat sagt,
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