Landtag, 9. Sitzung vom 30.09.2016, Wörtliches Protokoll - Seite 75 von 89
gibt und dass Sie nicht abstürzen. Die Mindestsicherung ist ein Notruf, und er kommt uns allen zu Gute, so wie die Polizei, die Feuerwehr und die Rettung. Und wir können immer wieder separat diskutieren: da Wirtschaft, da Bildung, da Arbeitsmarkt, dennoch werde ich einige Punkte nennen, warum es so elementar wichtig ist, dass wir diese Mindestabsicherung haben.
Wir haben nur 1 Prozent Wirtschaftswachstum, wir haben 2 Prozent Bevölkerungswachstum in unserer Stadt, wir haben 150.000 Arbeitslose, wir haben zu wenige Jobs, und das vor allem im Niedriglohnsektor. So ist es! Und dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn daraus folgt, dass immer mehr Menschen die Mindestsicherung vor allem als Ergänzungsleistung brauchen, um nicht abzurutschen. Und dass, wie auch die im Auftrag der Stadt Wien erstellte und jetzt auch öffentlich zugängliche Wifo-Studie zeigt, die Verweildauer länger wird, das ist ein Faktum, und es ist wahnsinnig wichtig, dass wir dort hinschauen und nicht die Augen zukneifen, uns empören und hoffen, dass, wenn wir die Augen aufmachen, alles wieder besser wird.
Wenn wir keine Mindestsicherung haben, passiert Folgendes - und insofern unterstreiche ich sehr, was Frau Landesrätin Wehsely gesagt hat -, und ich versuche es wirklich weder mit Wattebausch noch mit Übertreibungen darzustellen, sondern nur auf Grund dessen, was die Prognosen für das nächste Jahr sagen, und auf Grund dessen, wo wir jetzt im Augenblick stehen: Wenn wir keine Mindestsicherung haben, wenn Rot und Schwarz sich nicht auf eine sinnvolle neue Art. 15a-Vereinbarung einigen, heißt das Folgendes - und das wird immer wieder vergessen -: Es kommt zu einem massiven Lohndumping, meine sehr geehrten Damen und Herren, vor allem im Niedriglohnbereich. Wenn immer mehr Leute wenig zum Leben haben, was passiert dann mit dem Arbeitsmarkt? - Der Druck wird dazu führen, dass die Leute, egal, unter welchen Bedingungen, ihre Arbeit annehmen. Das heißt, auch diejenigen, die eine Arbeit haben, kommen damit unter Druck. Das muss uns bewusst sein, dass auch das passieren kann. Oder auch wenn man massiv reinkürzt, wie die ÖVP das unbedingt haben will, dann ist das eine Folge davon.
Wenn Sie von der ÖVP es nicht schaffen, sich einen Schritt zu bewegen, damit es wirklich zu einer sinnvollen Vereinbarung kommt, dann gibt es in ganz Österreich ein Sozialdumping mit all den Konsequenzen, die die gesamte Gesellschaft tragen wird, nicht nur die Betroffenen. Na, was werden Leute tun, wenn sie wenig zu essen haben - und dieser Schritt fehlt mir bei Ihren Empörungsreden immer wieder -: Es ist die Gefahr ernst zu nehmen, dass dann Leute in die Kriminalität abrutschen. Es ist die Gefahr ernst zu nehmen, dass wieder eine Schattenwirtschaft entstehen wird, in der Leute ausgebeutet werden, Scheinfirmen entstehen. Das ist übrigens auch ein Effekt oder kann auch passieren, wenn man sich krampfhaft an der Residenzpflicht festhält - um auch das einmal zu sagen.
Und ich kenne schon die Dynamik der Diskussion in ein, zwei Jahren: Wir sagen, wir versuchen, obdachlosen Menschen bestmöglich eine Unterstützung zu geben. Sie werden sagen, na furchtbar, Rot-Grün, wie viele Tausend obdachlose Menschen es gibt! - Wir haben eine Dynamik eines Mehr an Armut und an sozialen Unruhen, an Krankheiten, an Folgekosten. Das halten Sie sich bitte vor Augen!
Ich bringe noch eines ins Spiel, um auch die Zusammenhänge aufzuzeigen. Man kann - Herr Chorherr hat es, glaube ich, gestern gesagt - von Herrn Filzmaier halten, was man will, aber lesen Sie die neue Untersuchung, wie es gerade stimmungsmäßig um die Demokratie in unserem Lande steht:
1,2 Millionen Menschen sind demokratiemüde! Sie haben genug von diesem Gezerre, der Ausrichterei, dem taktischen Kalkül und davon, dass wir als PolitikerInnen nicht hergehen und mehr Verantwortung übernehmen und Lösungen anbieten, die über Wahlen hinausgehen. 300.000 Menschen sind in unserem Land schon empfänglich für Extreme! Und ich komme hier wieder zu dem Punkt: Wenn wir es nicht schnallen, dass es Zeit wird, in Kinder und Jugendliche zu investieren, dann haben wir etwas nicht verstanden. Insofern noch einmal: Die Mindestsicherung brauchen wir alle!
Jetzt komme ich konkret zu den ÖVP-Forderungen. Man weiß ja schon gar nicht mehr, geht es um 1-EUR-Jobs oder um gratis Hackeln oder um einen Deckel bei 1.500 EUR. (Abg. Mag. Manfred Juraczka: Nicht gratis Hackeln!) Wurscht, was - Sie überbieten sich in den letzten Monaten mit sehr grauslichen Vorschlägen, wo man sich fragt: Wohin wollen Sie denn? Die 1.500-EUR-Deckelung ist rechtswidrig, das wissen Sie. Man kann nicht willkürlich eine Grenze einziehen, da stimmt auch die Verhältnismäßigkeit nicht. Und das, was passiert - und ich meine es wirklich ganz sachlich, ich habe nächtelang alle Ihre Varianten und Vorschläge durchgerechnet -, was das für die 200.000 Menschen hier in Wien bedeutet, ist Folgendes: Sie sagen damit - nehmen Sie nur die Fakten her! -, dass zukünftig an die 10.000 Kinder mit ihren Familien über der Grenze sind und mit Kürzungen zu rechnen haben. Sie sagen gleichzeitig, dass noch einmal so viele Menschen aus dem System herausfallen, weil die Höchstgrenze erreicht ist. Was Sie aber nicht sagen, ist - und ich komme jetzt wirklich auf diese Ebene, das meine ich ernsthaft -: Welche Perspektive geben Sie diesen Kindern und Jugendlichen? Wie viel verbauen Sie an Perspektiven für die Zukunft? Wollen Sie tatsächlich - jetzt überspitze ich, ich gebe es zu -, dass hier in unserer Stadt, in unserem Land, eine Hartz-IV-Generation heranwächst? (Abg. Dr. Wolfgang Aigner: Die ist ja schon da! Die gibt's ja schon! Die wird immer größer!) - Das ist dann Ihre Mitverantwortung, aus der werde ich Sie sicher nicht entlassen.
Dann komme ich zu den anerkannten Flüchtlingen, die immer wieder auch dazu benützt werden, unser Sozialsystem zu destabilisieren. (Abg. Dr. Wolfgang Aigner: Ja, die destabilisieren das Sozialsystem, die Flüchtlinge!) - Ich richte mich eigentlich an die ÖVP. Zur FPÖ kann ich nur sagen: Sie haben gestern davon geredet - Herr Aigner, ich glaube, Sie waren es (Abg. Dr. Wolfgang Aigner: Ja, und ich werde heute wieder reden!) -, es sei so schön gewesen in den Zeiten der Sachleistungen, wobei ich
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