Landtag, 8. Sitzung vom 24.11.2021, Wörtliches Protokoll - Seite 26 von 68
Persönlich erachte ich die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte für die Psyche und für die Seele einer Stadt wie Wien für extrem wichtig. Dies ganz besonders deshalb, weil die Geschichte unserer Stadt sowohl von Licht aber auch von dunklen historischen Perioden durchzogen ist und wir als Stadt, aber auch als Gesellschaft natürlich auch in einer Verpflichtung stehen, unserer Verantwortung nachzukommen, diese eigene Geschichte aufzuarbeiten. Dieser Verantwortung kommen wir im Übrigen auch in vielen anderen Bereichen in der Stadt nach, beispielsweise bei der Aufarbeitung von Straßennamen, bei der Aufarbeitung von Ehrengräbern oder bei der Reflexion um Gedenkorte, wie etwa das Lueger-Denkmal.
Ich möchte Sie zum besseren Verständnis dieses Berichts und dieser Thematik auf eine kurze Reise in das Jahr 1907 mitnehmen. Da wurde am 28. Februar im Stiftbrief der Stiftungszweck festgelegt, und das finde ich eigentlich etwas besonders Schönes. Wenn man das heute liest, steht da zu lesen: Anstalten für mittellose Nervenleidende, die ohne Unterschied der Konfession in gesunder Lage in Wien oder möglichst in der Nähe von Wien nach dem Pavillonsystem zu errichten und zu erhalten sind. Es war darauf zu achten, dass sich bei jeder Anstalt möglichst ein Raum für Garten- und Feldarbeit nebst Turnplatz befinde und sie mit natürlichem, gutem Trinkwasser und den erforderlichen Bädern und den für ärztliche Behandlungen erforderlichen Apparaten versehen seien. - Ein schöner Gedanke, ein schöner Stiftungszweck, den wir diesem Stiftungsbrief entnehmen können.
Das Grundstück selbst war damals nicht Teil von Wien, das Grundstück selbst war am sogenannten Rosenhügel angesiedelt. Das war damals ein Teil von Mauer, also nicht im Stadtgebiet von Wien. Das Grundstück ist dann mit Zustimmung der Gemeinde Mauer in Wien eingemeindet worden und damit sind auch die Fragen etwa von Kanalisation oder Trinkwasserversorgung auch gelöst worden. 1912 sind dann die ersten Patientinnen und Patienten dort in die Heilanstalt eingezogen, 92 Betten hat es damals gegeben, und im Ersten Weltkrieg diente diese Heilanstalt als Lazarett. Die Organisation der Stiftung selbst war in dem Stiftbrief von 1907 ebenso festgelegt, nämlich durch ein Kuratorium, bestehend aus zwölf Personen, neun davon von der Familie einzusetzen, drei weitere durch die öffentlichen Behörden. Als es dann zur Machtübernahme der Nationalsozialisten im März 1938 kam, wurde die Stiftung im April 1938 per Dekret aufgelöst und das Vermögen fiel der Stadt Wien zu. Überdies wurden die Familienangehörigen in den Gefängnissen von der Gestapo zur Übertragung aller Vermögenswerte der Familie Rothschild in Österreich gezwungen. Nach dem Sieg über die Nationalsozialisten ist das Familienvermögen zum Teil restituiert worden - teilweise sehr langwierig, 1999 etwa erst die Kunstgegenstände aus dem Kunsthistorischen Museum. Nach Beendigung der NS-Terrorherrschaft wurde die Stiftung mit Beschluss der Wiener Landesregierung 1956 in ihrer Rechtspersönlichkeit wiederhergestellt. Zum Verwaltungsorgan wurde damals - und jetzt kommen wir zum Ausgangspunkt dieser Debatte - aber nicht das zwölfköpfige Kuratorium bestimmt, sondern der Magistrat als Stiftungsverwaltungsorgan implementiert.
2017 gab es dann eine Satzungsänderung, indem festgelegt wurde, dass anstelle des Kuratoriums, das es ja nicht mehr gegeben hat, die Stiftung von der Leiterin oder dem Leiter jener Dienststelle zu verwalten sei, die für Stiftungen mit gemeinnützigem und mildtätigem Zweck allgemein zuständig ist. Die Satzungsänderung wurde angefochten und zuletzt eine Beschwerde gegen diesen Bescheid vom Verwaltungsgericht abgewiesen.
Im März 2020 haben wir dann hier im Wiener Gemeinderat die Einsetzung und die wissenschaftliche Aufarbeitung der Rothschild’schen Stiftung beschlossen. Im September 2020, wir haben es schon gehört, war die konstituierende Sitzung. Das Ziel dieser Kommission war ganz klar definiert, nämlich die Aufarbeitung der Geschichte der Stiftung von ihrer Errichtung 1907 über die Auflösung im Nationalsozialismus bis jedenfalls zur Wiederherstellung in der Nachkriegszeit sowie der Verortung der Stiftung und ihrer Institution in einem zeithistorischen Kontext. Der Bericht ist sehr umfangreich. Wir haben es gehört, es lohnt sich, in diesen Bericht hineinzublättern, er ist öffentlich zugänglich. Es gibt auch eine kurze Managementzusammenfassung. Aber egal, an welcher Stelle man in diesen Bericht hineinblättert, man spürt die wissenschaftliche Expertise in diesem Bericht und die Leidenschaft nicht nur für Wissenschaft, sondern für das akribische Erkunden der historischen Vorgänge.
Ich möchte mich an dieser Stelle sehr herzlich bei den Mitgliedern der Kommission, bei Frau Univ.-Prof. Ilse Reiter-Zatloukal als Vorsitzende, bei Herrn Dr. Gerhard Baumgartner, bei Univ.-Prof. Oliver Rathkolb, bei Univ.-Prof. Roman Sandgruber und bei Dr. Ulrike Zimmerl bedanken, aber auch bei der Direktorin des Wiener Stadt- und Landesarchivs Dr. Brigitte Rigele und bei ihrem Team, aber auch bei den beiden wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Dr. Verena Pawlosky und Dr. Harald Wendelin, zwei, wie wir schon gehört haben, in der Aufarbeitung der Zeitgeschichte ausgewiesene Expertinnen und Experten.
Und, das haben wir auch schon gehört, der vorliegende Bericht kommt zum Entschluss, dass im Umgang mit dem historischen Erbe nach der NS-Zeit keine maßgeblichen Fehler gemacht worden sind. Wir haben auch schon gehört, lediglich - unter Anführungszeichen - die Anbringung der aus dem Jahr 1963 zugesicherten Gedenktafeln sei nachzuholen. - Ja, das ist auch unumstritten, das wird natürlich nachgeholt werden.
Ich persönlich würde es auch schön finden, wenn wir es schaffen, bei der Anbringung dieser Tafeln auch einen entsprechenden Gedenkakt zu setzen, um die Stiftung und den Stifter auch feierlich und entsprechend öffentlich zu würdigen.
Abschließend möchte ich sagen, es ist gut, dass wir die Geschichte der Stiftung aufgearbeitet haben, weil wir damit auch einen ganz bedeutenden Teil der Geschichte unserer Stadt aufgearbeitet haben. Es ist gut, dass wir uns dieser Verantwortung gestellt haben, denn ein Wissen über die Vergangenheit ist die Basis für alle Ent
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