Landtag, 34. Sitzung vom 19.06.2024, Wörtliches Protokoll - Seite 4 von 79
Dabei wird die Stadt - das ist jetzt schon völlig klar - natürlich einen besonderen Wert auf die Bedeutung biologischer Vielfalt für den Klimaschutz legen müssen, weil gesunde und artenreiche Ökosysteme Kohlenstoff binden, speichern, das Klima stabilisieren, extreme Wetterereignisse mildern und damit die Stadt stärken, unsere Anpassungsfähigkeit stärken, die Resilienz unseres Zuhauses stärken.
Lassen Sie mich auf ein paar Beispiele für diese Umsetzungsarbeit an der Wiener Wald- und Wiesen-Charta eingehen. Fangen wir bei der Wiese an: Knapp 5,5 Prozent des Stadtgebiets sind Wiesen, sonstige landwirtschaftliche Nutzflächen machen 13,75 Prozent aus. Eine große Verantwortung an der Verwaltung dieser Wiesen hat der Forstbetrieb der Stadt Wien. Etwa die Hälfte der Wiesen wird von ihm verwaltet, und nur ein Fünftel der Wiesen dient vorwiegend der Erholung und wird entsprechend gepflegt, also meist zwei Mal im Jahr. Zwei Drittel der Wiesen in unserer Stadt haben überwiegend Naturschutzfunktion, das heißt, Mähschafe auf der Donauinsel oder am Steinhof kümmern sich um die Wiesen, oder es gibt eine Mahd mit Sensen. Es wird daran gearbeitet, diese Wiesen und Weiden offen zu halten. Wie die wenigsten von Ihnen vielleicht wissen: Eine extensiv genutzte Weide kann drei Mal so viel CO2 binden als ein Wald. Es ist also von unglaublicher Bedeutung, dass wir diese Wiesen schützen.
Der Wald ist schon genannt. Wien ist stolz darauf, dass unsere Wälder auch durch die Dauerwaldbewirtschaftung in einem guten Zustand sind. Das ist übrigens - das ist eine sehr, sehr dramatische Tatsache - nicht in ganz Österreich und schon gar nicht in der Europäischen Union der Fall. Unsere Arbeit leistet einen Beitrag dazu, dass unsere Wälder resilient sind, dass es eine genetische, eine Artenvielfalt in den Wäldern gibt und dass sie damit fit für die Extremwetterereignisse unserer nahen Zukunft sind, aber vor allen Dingen auch ihre Rolle für ein gutes Leben in der Stadt spielen können. Beispiel Wienerwald: Der kühlt die Stadt um 7 Grad ab.
Flüsse: Ein gutes Beispiel für die aktuelle Arbeit an mehr Biodiversität ist sicherlich die Renaturierung des Liesingbachs. 1997 bis 2016 war der 1. Abschnitt mit ein bisschen über 9 km, seit 2020 wird die 2. Hälfte des Liesingbachs zwischen Kaiser-Franz-Josef-Straße und Großmarktstraße renaturiert, ähnlich lang, um genau zu sein, genau gleich lang, nämlich 9,2 km. Worum geht es da? Stück für Stück wird die harte Pflasterung aufgebrochen. Die Steine werden vor Ort zerkleinert, ins Flussbett eingebaut, das Ufer abgeflacht, Sediment eingebracht, Steine und Wurzelstöcke versetzt, Weidenstecklinge in den Uferbereich gepflanzt, 200 Bäume kommen dazu, Buchten und Flachwasserbereiche werden geschaffen, die für Jungfische, für Insektenlarven, andere wassergebundene Lebewesen ein Zuhause sind. Stichwort Zuhause: Ich glaube, wer von Ihnen schon beim bis jetzt renaturierten Teil der Liesing war, weiß, es ist auch ein besseres Zuhause für uns Menschen, es ist ein Zugewinn an Grünraum am Wasser. Diese neuen Bäume spenden Schatten, Tiere und Pflanzen werden sich ansiedeln, Uferbereiche werden neu gestaltet, und damit werden die Spaziergänger und Spaziergängerinnen, die Radfahrer und Radfahrerinnen, die Läufer und Läuferinnen entlang der Liesing ein Mehr an Lebensqualität haben.
Es würde jetzt den Rahmen dieser Frage sprengen, wenn ich weiter in dieser Taktzahl mit allen Beispielen vorangehen würde, aber ein großes möchte ich noch bringen, weil es das größte Renaturierungsprojekt in der Geschichte Wiens ist. Wir haben erst kürzlich den Startschuss für dieses Projekt am Verschiebebahnhof Breitenlee gemacht. Das ist eine Fläche, die mit 90 ha fast so groß wie die Josefstadt ist, mehr als doppelt so groß als 2 Mal die Steinhof-Gründe - für Menschen wie mich, die aus dem Westen sind, ein gutes Beispiel. Das Gebiet ist jetzt schon voller wertvoller Biotope. Das Gebiet ist eine riesengroße Fläche, die im sogenannten Alpen-Karpaten-Korridor von überregionaler Bedeutung ist. Es finden sich dort Neuntöter, Wiedehopfe, Zauneidechsen, Orchideen, mehr als 140 Wildbienenarten. Die Stadt hat die Verantwortung übernommen, dieses Gebiet für die zukünftigen Generationen zu sichern. Wir werden das ankaufen, wir werden es zu einem Natura-2000-Gebiet weiterentwickeln, wir werden dafür Förderungen des Biodiversitätsfonds des Bundes, aber vor allen Dingen auch EU-Mittel, LIFE-Projekte abgreifen, damit wir mit den Renaturierungsarbeiten jetzt beginnen können und 2030 dann der endgültige Zustand eines Lebensraumes für tausende Arten in ganz Wien hergestellt ist.
Das Areal in Breitenlee ist damit aber auch ein Leitprojekt für unsere Vision von Wien als Umweltmusterstadt. Es ist eine Stadt, die darauf stolz ist, ein Ort zu sein, in dem ein gutes Leben auch deshalb möglich ist, weil 50 Prozent unserer Stadtfläche von Grünraum bedeckt sind, weil wir an diesem Grünraum qualitativ weiterarbeiten, sodass wir sicherstellen können, dass die vielen Arten, die es in Wien gibt, eine Zukunft haben können und auch eine Rolle für uns Menschen spielen können. Ich weiß nicht, ob Sie das wissen: 50 Prozent aller geschützten Arten, die es in Österreich gibt, finden sich in Wien, und das ist daher eine besondere Verantwortung für uns. Zugleich ist aber jedes einzelne Beispiel, das ich gebracht habe, auch ein Mehr an Lebensqualität für die WienerInnen, ein Mehr an Natur. Mit Breitenlee schaffen wir ein Musterbeispiel dazu.
Wie Sie sehen, wir bereiten uns bestmöglich vor, nicht erst seit vorgestern, sondern seit Langem. Wir haben unabhängig vom bis vorgestern offenen Ausgang bezüglich des Renaturierungsgesetzes in Wien den Startschuss für eine Biodiversitätsoffensive gesetzt. Ich freue mich, davon in den nächsten Jahren häufiger in diesem Haus berichten zu können. Für Wien bedeutet das jedenfalls die besten Grundlagen, dass wir ganz besonders in den kommenden zwei Jahren, wenn es um die nationale Strategie zur Umsetzung geht, einen positiven Beitrag für die Umsetzung dieses wichtigen Gesetzes in ganz Europa leisten können. (Beifall bei SPÖ und NEOS.)
Präsident Ernst Woller: Ich danke für die Beantwortung.
Ich möchte jetzt noch die Gäste von der Bildungsanstalt für Elementarpädagogik bei uns auf der Galerie begrüßen. Herzlich Willkommen in Ihrem Wiener Rathaus! (Allgemeiner Beifall.)
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