Gemeinderat, 11. Sitzung vom 29.06.2011, Wörtliches Protokoll - Seite 51 von 65
Zu der Behauptung, dass die griechische Bevölkerung tatsächlich über ihre Verhältnisse gelebt hätte: Damit tu’ ich mir immer schwer! Im heutigen „Standard" steht etwas, und ich weiß nicht, ob es richtig ist, aber ich glaube, es ist richtig: Eine Frau, die 20 Jahre Lehrerin ist, verdient 1 350 EUR. – Entschuldigung! Das verstehe ich nicht unter „über seine beziehungsweise ihre Verhältnisse zu leben“! Wenn man sich die Lebensumstände in Griechenland und in Österreich anschaut, dann ist die Bezahlung in Griechenland schlechter als für eine österreichische Lehrerin nach 20 Jahren, und das trifft auch zu, wenn man die Kaufkraftqualität vergleicht. – Das ist nicht über seine beziehungsweise ihre Verhältnisse leben!
Natürlich braucht Griechenland den strukturellen Umbau. Aber es stellt sich zum Beispiel die Frage, ob es Griechenland hilft, wenn es in dieser Situation für den strukturellen Umbau wirklich seine Staatsbetriebe verramscht. Wir befinden uns jetzt nicht auf der Ebene, dass der Hafen et cetera verkauft werden, sondern das, was gefordert wird, ist, die Staatsbeteiligungen zu verramschen und dann die Gewinne wieder einmal zu privatisieren.
All das gehört meines Erachtens tatsächlich verändert! Und in diesem Sinne sage ich: Die Ideen einer Wirtschaftsregierung, die gegenwärtig in Europa herumgeistern, sind eine Gefährdung des europäischen Gedankens! Daher müsste es in unser aller Sinne sein, diese Wirtschaftsregierung – wenn man tatsächlich eine will – auf solidarisches, nachhaltiges und demokratisches Wirtschaften festzulegen, damit wir wirklich versuchen können, den Karren gemeinsam aus dem Dreck zu ziehen. Das wäre meines Erachtens für Griechenland notwendig, und es ist vollkommen klar, dass es ohne Entschuldung Griechenlands und ohne eine Art neuen Marshall-Plan keine Lösung für das griechische Problem gibt.
Griechenland verhält sich anders als Irland. Das Problem stellt sich anders dar. (GR Johann Herzog: Portugal!) Nein! Es stellt sich sogar anders dar als in Portugal, weil die strukturelle Verschuldung in Portugal anderes ist als in Griechenland! – Wenn man will, dass Griechenland tatsächlich geholfen wird, dann bedarf es einer Entschuldung und einer Art Marshall-Plan, und das muss natürlich finanziert werden.
Als Grüner sage ich: Ich halte es für falsch, wenn diese Bürde europaweit den Ärmeren oder der Mittelschicht aufgebürdet wird, denn diese haben auch nicht davon profitiert! – Sie sagen dann manchmal, dass wir jetzt wieder auf die Aktionäre losgehen, obwohl Sie selber diese Kritik angebracht haben!
Die Europäische Zentralbank verteilt um 1 Prozent Kredite an diverseste Banken. Diese kaufen Staatsanleihen mit einer Rendite von 8 Prozent, mittlerweile bis zu 18 Prozent und noch mehr, und verdienen daran. Da muss man sich überlegen, was sich Griechenland allein an Zinsen ersparen würde, hätte damals die EZB gesagt: Wir haben die Möglichkeit und geben Griechenland den Kredit direkt! – Das wäre ein erheblicher Vorteil für Griechenland bei der Entschuldung gewesen. Aber im Endeffekt war es das größte Bankenpaket nach der Krise, und alle offiziellen Bankenpakete wären letztendlich vollkommen irrelevant, wenn die Europäische Zentralbank zu 1 Prozent in der Tat unglaublich viel Geld zur Verfügung stellen würde!
Vordergründig wurde das verkauft, und wir stellen das Geld zur Verfügung, um den Konsum anzukurbeln. – Wir alle wissen aber mittlerweile, dass 80 Prozent der zur Verfügung gestellten Gelder allein in den Finanzmarkt geflossen sind und nicht in die Ankurbelung der Produktion!
Diesbezüglich muss gegengesteuert werden, und bei einem klaren Ja und einem klaren Bekenntnis zur innereuropäischen Solidarität erwarte ich mir auch – das sage ich ganz konkret – die Unterstützung der Sozialdemokratie. Das wird nämlich nur möglich sein, wenn wir diese Solidarität, die wir jetzt innerhalb Europas brauchen, nicht auf dem Rücken der ärmeren Menschen und nicht auf dem Rücken der Mittelschicht austragen, sondern die Idee von Kollegin Kappel auf Österreich beziehungsweise auf ganz Europa ausdehnen und tatsächlich sagen: Europa braucht eine Vermögenssteuer, Europa braucht eine gerechtere Verteilung des vorhandenen Vermögens.
Das braucht Europa, um sich Solidarität leisten zu können, um nachhaltig wirtschaften zu können, und das braucht Europa auch, um der Demokratie in Europa wieder eine Chance zu geben. – In diesem Sinne bedanke ich mich fürs Zuhören und ersuche nochmals um die Zustimmung zur Europadeklaration. Danke. (Beifall bei GRÜNEN und SPÖ.)
Vorsitzender GR Mag Dietbert Kowarik: Zum Wort gemeldet ist zum zweiten Mal Herr GR Mag Jung. Sie haben 19 Minuten.
GR Mag Wolfgang Jung (Klub der Wiener Freiheitlichen): Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! 19 Minuten wird es nicht dauern!
Die Ausführungen des Kollegen haben teilweise Widerspruch erregt und teilweise Zustimmung gefunden. – Ich erinnere jetzt an die gestrigen Worte meines Kollegen Wansch. Als er die Eurogeschichte angesprochen und Ihr vorjähriges Referat zitiert hat, sind Sie, Herr Margulies, hinten im Kreis gegangen, haben sich geschüttelt und den Kopf auf die Bank gelegt. – So geht es einem halt, wenn man plötzlich in der Regierung ist! Aber es spricht wenigstens für Sie, dass es Sie getroffen hat! Das spricht für eine gewisse Ehrlichkeit zumindest sich selbst gegenüber!
Auch die Argumente, die Sie jetzt gebracht haben, waren auch vom Finanztechnischen her die seriösesten, die ich seit Langem von Regierungsseite gehört habe. Daher lohnt es sich auch, wie ich glaube, darauf einzugehen.
Sie haben die Solidarität angesprochen. Diesbezüglich gibt es einmal eine Grundsatzfrage, und da bin ich eher pessimistisch! Ich fürchte nämlich, dass man diesem Griechenland gar nicht mehr helfen kann, und zwar aus ganz verschiedenen Gründen. Das ist nicht nur eine Frage der Geldmenge, sondern es muss sich jemand auch helfen lassen; dieses Land ist aber auf dem Weg
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