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Gemeinderat, 17. Sitzung vom 16.12.2011, Wörtliches Protokoll  -  Seite 62 von 145

 

grundsätzliche Fragestellung, wenn ich so an Sie denke: Wollen Sie in der Migrationsfrage etwas nicht verstehen oder können Sie nicht verstehen? (GR Mag Wolfgang Jung: Ist das eine rhetorische Frage oder nicht?) Wenn ich sagen würde, Sie wollen nicht verstehen, würde ich Ihnen eine Böswilligkeit unterstellen. Das mache ich nicht. Daher gehe ich davon aus, dass Sie in der Migrationspolitik Schwierigkeiten mit dem Verstehen haben und darüber werde ich reden.

 

Die Zuwanderung nach Österreich ist eine Geschichte, die es seit eh und je gegeben hat, aber ich möchte im Besonderen auf die Entwicklungen nach 1960 eingehen. Im Jahre 1960 hat man aus unterschiedlichsten Gründen in Österreich festgestellt, dass man Arbeitskräfte braucht, Arbeitskräfte, die hier notwendige Arbeiten verrichten sollten. Damals waren diese Arbeitsbereiche Textil, Baubereich, Gastronomie, und so weiter, und so fort (GR Gerhard Haslinger: Wir reden nicht von vor 40 Jahren!). Und diese Menschen, die damals da hergekommen sind, waren damals die gefragtesten Personen. (GR Gerhard Haslinger: Ja, aber wir reden jetzt nicht von vor 40 Jahren! - Aufregung bei der FPÖ.) Ja, ich komme jetzt dazu, warum es notwendig ist, solche Vereine zu haben. (GR Armin Blind: Nach 40 Jahren kommen Sie, ist klar!) Ich komme jetzt dazu, warum es notwendig ist, solche Vereine zu haben. Diese Menschen haben in diesem Land einiges verrichtet, unter anderem auch meine Vorfahren, also meine Eltern, über die man heute abfällig redet. Abfällig in dem Sinn, dass man sagt, das sind Analphabeten aus Anatolien, wir haben uns Analphabeten aus Anatolien geholt.

 

Wir haben uns Bauern geholt, und so weiter. (GR Armin Blind: Das schreiben die Vereine selber!) Jetzt komm ich zu den Vereinen, Herr Blind. Herr Blind, ich komme zu den Vereinen. (GR Armin Blind: Die Vereine schreiben das selber, nicht wir sagen das!) Und diese Menschen waren damals die gefragtesten und der Staat hat nie damit gerechnet, dass man diesen Menschen Serviceangebote zur Verfügung stellt, dass sie die Sprache lernen, dass sie die Kultur dieses Landes lernen, dass sie die Geschichte dieses Landes lernen und den Umgang in diesem Land lernen und dass sie sich auch Wissen aneignen können. (GR Armin Blind: Sie schreiben das selber!) In den 1960er Jahren wurden solche Vereine nicht errichtet. Wie ich 1979 nach Österreich gekommen bin, hören Sie, ein lebendiges Beispiel, gab es keinen einzigen, keinen einzigen Verein, wo ich Deutsch lernen konnte. (StRin Veronika Matiasek: Sie können es aber!) Ich erzähle Ihnen, wie, ich erzähle Ihnen, wie, ja. (GR Gerhard Haslinger: Das kann nur von Vorteil sein!) Es gab, Herr Haslinger, es gab im 10. Bezirk die türkische Beratungsstelle in der Erlachgasse. Also es war nicht irgendeine Institution (GR Gerhard Haslinger: Man bemüht sich dann mehr!), die die Republik Österreich errichtet hat beziehungsweise die Stadt Wien errichtet hat. Damit wir die Gegenwart verstehen, muss man ja ein bisschen in die Vergangenheit gehen. Das ist ja das Problem, dass Sie nicht dialektisch denken können. Die Probleme liegen in der Vergangenheit. (GR Armin Blind: Das ist eine große Behauptung, Herr Kollege!) Zusammenhänge herstellen, ja. Also 1979 war in der Erlachgasse die türkische Beratungsstelle und dort haben wir Deutsch gelernt. Und dann hat Österreich 1983, Sozialminister Dallinger, festgestellt, dass man in diesem Bereich aktiv sein muss, weil die Politik des Rotationsprinzips nicht gehalten hat. Die Menschen sind nicht gegangen, die Menschen sind hier geblieben, die Menschen haben Kinder und Enkelkinder bekommen. Dazu gehören auch wir, ja. Hier war der Handlungsbedarf und diesem Handlungsbedarf ist niemand nachgekommen.

 

Erst 1983 hat die erste AusländerInnenberatungsstelle, damals im WUK angesiedelt, begonnen, den Menschen Unterstützung zu gewähren, damit sie hier das Land und die Stadt kennen lernen und das war notwendig. Also die Absicht der ersten Beratungsstelle war, die Menschen darin zu befähigen, dass sie hier besser zurecht kommen können. Das setzt aber voraus, dass man akzeptiert, dass die Menschen hier geblieben sind und hier Wurzeln geschlagen haben. Dann ist man weitergegangen und hat gesagt, wir brauchen nicht mehr eine Zuwanderungspolitik, sondern eine Integrationspolitik. Die Integrationspolitik zielte darauf ab, zum einen besser Fuß zu fassen, zum anderen Aufstiegsmöglichkeiten und bessere Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Menschen auch in der Stadt zusammenkommen können. Es ist uns heute nach wie vor bewusst, dass zwischen der Bevölkerung mehrere Brücken geschlagen werden müssen.

 

Man hat damals den Wiener Integrationsfonds gegründet. Wenn ich mich nicht irre, war das 1992. Zum ersten Mal in Wien setzte sich der Begriff Integration in institutionalisierter Form mit Außenstellen durch. (GR Gerhard Haslinger: Erklären Sie mir doch, warum das so ist!) Ja, warten Sie einmal, wir reden über Vereine. Ich erzähle Ihnen die Geschichte dieser Vereine, damit Sie das verstehen, warum das so ist. Der Wiener Integrationsfonds wurde dann in ein Stadtratsressort umgewandelt, in eine Magistratsabteilung, wir haben den Stadtrat für Integration, Frauenfragen, und so weiter, und die MA 17. Sie wissen ganz genau, dass sämtliche Magistratsabteilungen auch mit etlichen NGOs zusammenarbeiten müssen, weil die Arbeiten mit stadteigenen Organisationen direkt nicht zu bewältigen sind. Also brauchen wir Zugänge zu bestimmten Bevölkerungsgruppen, damit wir sie ins Boot holen können.

 

Ich habe in meinen vorangegangenen Reden erzählt, dass wir in der Integrationsfrage in einem Machtkampf mit Wendestaaten stehen und die technologische Entwicklung macht es auch nicht leicht, dass die Menschen nur eine eindimensionale Entwicklung an den Tag legen, sondern sie sind umkämpft. Die Wendestaaten wollen sie nach wie vor an der Stange halten. Die prekäre Situation dieser Personen ist, Lebensmittelpunkt hier, Kinder hier, Familien hier, Alltagsleben hier, aber es gibt Einflüsse von außen, bedingt durch die technologische Entwicklung in Europa, Satellitanlagen, Internet, und so weiter, und so fort. Das sind ja technische Errungenschaften auch Europas, die ermöglichen, dass Menschen zu mehreren Teilen der Welt Kontakt aufnehmen.

 

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